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Der Kuss des Greifen (German Edition)

Der Kuss des Greifen (German Edition)

Titel: Der Kuss des Greifen (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Thea Harrison
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Palmenhainen spickten den Rand des Nachthimmels, an dem so viele Sterne erstrahlten, wie man sie in den modernen Städten mit ihrem Streulicht nicht mehr zu sehen bekam.
    Er stand im Schatten eines von Säulen umgebenen Gebäudes, das aus Granitblöcken erbaut war und in der Nähe anderer, größerer Gebäude stand. Indirekter Fackelschein flackerte an verschiedenen Stellen. In der Luft hingen der penetrante, üble Geruch des nahegelegenen Flusses und die Düfte eines reichhaltigen Essens. Neben gewürztem Fisch und Fleisch roch Rune Hefeprodukte wie Bier und Brot. Der Abend musste noch recht jung sein.
    Außerdem roch er Menschen und hörte Stimmen. Ein Mann schrie wütend. Eine hellere, jüngere Frauenstimme stieß eine schnelle, verzweifelt klingende Abfolge von Wörtern aus. Als Rune versuchte, den Gang zu wechseln, um das Gehörte zu verstehen, kam es ihm vor, als sei sein Gehirn eingerostet – zu sehr war es an moderne Sprachen gewöhnt.
    Da war ganz unverkennbar das fleischige Klatschen eines Schlags und dann ein scharfer Schmerzensschrei, der unvermittelt abbrach. Auch der Peitschenknall, der die Luft zerriss, war nicht zu überhören.
    Eine Peitsche.
    Verdammte Scheiße.
    Getrieben von Panik und Instinkt, stürzte Rune vorwärts. Er krachte gegen eine Wand, stieß sich davon ab und eilte eine breite, in Stein gehauene Treppe hinauf, immer dem Echo folgend, auf den Ursprung der Geräusche zu.
    Komm schon, gib Gas, gottverdammt. Er lief schneller, als er je in seinem Leben gerannt war, doch das glatte, hässliche Sausen der Peitsche zerriss mit einem zweiten Hieb die Luft. Das Geräusch zog ihm bei lebendigem Leib die Haut ab.
    Er platzte in einen großen, luxuriös eingerichteten Raum, der eigentlich für eine Verführung hergerichtet, nun aber zur Folterstätte geworden worden war. Kohlebecken aus Metall spendeten überreichlich flackerndes Licht. An drei Seiten war der Raum zu einem einfachen Balkon hin geöffnet und von Nachtluft umgeben. Gazevorhänge hielten Flussinsekten fern. Das kunstvoll hergerichtete Bett war unberührt. Auf einem flachen Tisch stand ein Festmahl aus Fleisch, Fisch, gewürztem Gemüse, Bier, Brot und Honig.
    Ein kleines Mädchen lag ausgestreckt auf dem Boden, ihr schmaler, honigfarbener Rücken war von Peitschenhieben aufgerissen und blutete. Über ihm stand ein dunkelhäutiger Mann mit einem kurzgestutzten Bart. Er trug einen Shenti , verzierte Sandalen und ein Halsband aus geschlagenem Kupfer. Sein Blick funkelte vor Zorn. Der Mann nahm den Arm zurück und schüttelte die Peitsche aus.
    Alles rationale Denken in Rune verdampfte in einer internen Kernexplosion. Was übrig blieb, war ein mörderisches wildes Tier. Krallen wurden ausgefahren. Aus seiner Brust brach ein heiseres Brüllen hervor, das mit der Wucht eines Raketenwerfers die Nacht zerriss.
    Das wilde Tier sprang. Mit einem einzigen Prankenhieb hatte es den Mann beinahe gevierteilt. Die Peitsche fiel ihm aus der Hand, und der Mann war tot, bevor er am Boden aufkam.
    Das Töten war zu schnell gegangen, um den Zorn des Tiers zu lindern. Wieder brüllte es auf, hob den Toten vom Boden auf und schleuderte ihn fort. Blut spritzte durch die Luft. Der Tote prallte gegen die Wand, und beim Aufschlag zerbrachen hörbar Knochen. Die verstümmelte Leiche hinterließ eine feuchte, blutrote Schmierspur, als sie an der Wand hinabglitt.
    Vollkommene Stille erfüllte die Nacht. Selbst die Ochsenfrösche und nachtaktiven Insekten verstummten in Gegenwart eines übermächtigen Raubtiers. Es schien, als hielte die ganze Welt den Atem an.
    Bis auf das wimmernde Keuchen zu Füßen des wilden Tiers.
    Schwer atmend blickte es nach unten. Das kleine Mädchen duckte sich tief und grub die Fingernägel in den Boden, als wollte es die Steine aufbrechen und darin verschwinden. Es trug die zerfetzten Überreste eines hauchdünnen Gewands, eine Kette aus Kupfer und Lapislazuli und dazu Armreifen aus geschnitzten Knochen. Sein zierlicher Brustkorb zitterte, die Haut auf seinem Rücken war aufgerissen und blutete.
    Wimmerndes Keuchen.
    Das Tier wurde wieder zu Rune. »Armes Baby«, flüsterte er und beugte sich vor, um die Schultern der jungen Frau zu berühren.
    Sie schrie auf und schrak zurück, und wieder kam das Tier in Rune an die Oberfläche, gerade nahe genug, um ihm von innen die Krallen in den Leib zu schlagen. Er ging um das Mädchen herum und ließ sich vor ihr auf die Knie sinken. Sie war älter als die Siebenjährige, der er begegnet war,

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