Der Kuss des Greifen (German Edition)
ließ er sich neben Khepri nieder. Sie schob den Kopf näher zu ihm, bis ihre Wange sein Knie berührte, und während er um seine Beherrschung rang, streichelte er ihr übers Haar. »Bier würde gegen den Schmerz helfen. Möchtest du welches?«
Sie nickte, und er gab dem alten Mann ein Zeichen, woraufhin dieser aufsprang und ihm zwei volle Kelche reichte. Die gehaltvolle, schwere Flüssigkeit schwappte unter seinem unsicheren Griff hin und her. Rune nahm einen der Kelche, ignorierte den anderen und half Khepri beim Trinken, während der Mann zu seinen Füßen kniete und weitere Anweisungen erwartete. Das Bier musste einen hohen Alkoholgehalt haben, aber vermutlich trank sie es schon, seit sie zwei oder drei Jahre alt war. Es war Weizenbier, und das Getreide war eindeutig ein wenig modrig geworden. Das hieß, dass sich Tetracyclin darin gebildet hatte, und das war gut so. Es würde helfen, eine Infektion der Wunden zu verhindern, also ermunterte er sie, den Kelch zu leeren.
Als sich ein glasiger Schleier über den hektischen Glanz in ihren Augen legte, sagte Rune zu dem Mann: »Bist du ein Priester?«
»Ja, mein Herr.«
Das überraschte ihn nicht. Das alte Memphis war überfüllt von Tempeln und Totenstädten. »Hast du Autorität?«
Der Mann neigte den Kopf. »Ja, mein Herr.«
»Du wirst mir jetzt zuhören und tun, was ich sage.«
»Ich stelle mein Leben in deinen Dienst.« Der Mann wagte es, aufzusehen; in seinen dunklen Augen lag das Leuchten fanatischer Ergebenheit.
Runes Mundwinkel hoben sich. Ach, zum Teufel damit. Er dachte einen Moment lang nach, fand Worte und verwarf sie wieder. Schließlich sagte er: »Was sich heute Abend hier ereignet hat, ist in meinen Augen eine Abscheulichkeit.«
Schnell sagte der Mann: »Mein Herr, ich gebe dir mein Ehrenwort, dass die Sklavin nicht ohne Grund bestraft wurde. Sie sollte hier einen anderen Gott erfreuen und hat bei dieser Pflicht versagt …«
Einen anderen Gott?
In Runes Augen zeigte sich ein kurzes Aufflackern von Eifersucht. Er sah sich um und erblickte wieder das sorgfältig angerichtete Festmahl und die Kulisse für eine Verführung, die nicht stattgefunden hatte. Der Mann kauerte vor ihm. Khepris Finger stahlen sich hinter ihren Kopf und legten sich auf seine Hand, und erst jetzt bemerkte er, dass er angefangen hatte zu knurren.
Er zwang sich, damit aufzuhören. Dann nahm er einen tiefen Atemzug und noch einen, während er die vielen Gerüche im Zimmer analysierte. Nun erkannte er, was ihm bisher vor Panik und Zorn entgangen war: Ein anderer Wyr war vor Kurzem in diesem Zimmer gewesen.
Behutsam schloss Rune seine Hand um Khepris Finger und beugte sich über den Priester. »Sieh mich an.« Mit großen Augen sah der Priester auf, und Rune bleckte die Zähne. »Ein Gott entscheidet nach seinem eigenen Gutdünken, was er tut. Wie kannst du es wagen, die Verantwortung dafür den Schultern eines kleinen Mädchens aufzubürden?«
Der Priester ließ sich vornüberfallen. »Mein Herr, es tut mir leid! Wir wussten nicht, dass wir gesündigt haben. Vergib uns!«
»Dies ist mein Urteil«, sagte Rune. »Du wirst diese Sklavin bei dir aufnehmen und sie wie deine liebste Tochter behandeln. Du wirst sie so gut ausbilden lassen wie einen Mann. Du wirst sie beschützen und dafür sorgen, dass sie das beste Leben führt, das du ihr ermöglichen kannst. Du wirst all das tun, niemand sonst. Wenn du dabei auch nur ansatzweise versagst, werde ich dich finden. Ich werde dir die Innereien herausreißen und dich zusehen lassen, wie sie in der Mittagssonne brutzeln. Hast du mich verstanden?«
Der Priester brabbelte gerade sein Einverständnis, als die Frau zurückkehrte. Sie hatte Medikamente bei sich und trug einen Stapel Leintücher unter einem Arm. Ihr folgten zwei weitere Frauen, die Gefäße mit dampfendem Wasser brachten. An der Tür blieben sie zögernd und mit großen Augen stehen, bis Rune ihnen ungeduldig ein Zeichen machte, näherzutreten.
»Kümmert euch um sie«, sagte er.
Die beiden Frauen tuschelten miteinander, während sie seine Anweisung befolgten. Er beobachtete sie, und als er mit eigenen Augen sah, wie vorsichtig sie Khepri behandelten, wollte er sich langsam zurückziehen.
Ihre kleine Hand umklammerte seine und hielt ihn fest. Er beugte sich über sie und strich ihr das Haar aus der Stirn. Mit einem stummen Flehen sah sie ihn an. Er verstand nicht, was sie wollte. Vielleicht verstand sie es selbst nicht und hielt sich einfach nur an der Person fest,
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