Der Kuss des Greifen
ruhten in ihrem Schoss.
Lysandras Geist wurde allmählicher ruhiger. Sie vernahm das Flüstern der Gräser, das Rauschen der Wellen und die Schreie der Vögel, die hoch oben am Himmel ihre Bahnen zogen. Sie wurde eins mit dem Wind, eins mit der Gewalt des Meeres. Stunden zogen sich dahin, doch nichts geschah.
Unwillig schüttelte Lysandra den Kopf. »Ich kann es nicht.«
»Du kannst es und es wird geschehen, wenn die richtige Zeit dazu gekommen ist«, sagte Aelfthryd leise.
»Wir haben nicht unendlich viel Zeit.« Sie dachte an Sirona, die unvermeidlich älter wurde, viel schneller als dies bei Menschen der Fall war. Jahr um Jahr welkte sie dahin in einem Leib, der nicht der ihre und in einem Leben, das ihr nicht bestimmt war. In Unfreiheit. Nicht als sie selbst. Lysandra wusste, was das bedeutete, wusste es aus schmerzvoller eigener Erfahrung. Darum brannten ihre Augen von den Tränen, die sie vergeblich zurückzuhalten versuchte, doch glücklicherweise trocknete sie der Wind wie ein zärtlicher Liebhaber.
Erst als sie sich wieder im Griff hatte, wandte sie sich gesenkten Hauptes um. Sie wollte nicht die Enttäuschung in den Augen der anderen erblicken. Sie wollte nicht in Sironas Augen sehen und auch nicht in Cels. Niemanden wollte sie sehen, denn sie hatte versagt. Ihr waren die Fähigkeiten, von denen die Pythia gesprochen hatte, nicht gegeben.
Aelfthryds langes moosgrünes Wollkleid und ihr knielanger Zopf wehten im Wind. Aus ihren grünen Augen sah sie Lysandra ernst an. »Verzage nicht. Versuche es wieder und immer wieder. Egal, was du tust oder vorhast: Gib niemals auf. Niemals! Alle Fähigkeiten müssen erlernt und geübt werden.«
Lysandra nickte. Sie fühlte sich dennoch wie eine Versagerin. Aelfthryd wandte sich um und ging, von Mylentun und Sirona gefolgt, davon.
»Soll ich hierbleiben oder möchtest du lieber allein sein?«, fragte Cel.
Sie wagte es kaum, ihn anzusehen, der neben ihr stand und aufs Meer blickte. Der Wind zog an seinem langen Haar und seiner Kleidung. Sie hoffte, er ginge ebenfalls, doch zugleich wollte sie, dass er sie nicht verließ.
»Ich weiß, dass ich dich enttäuscht habe«, sagte sie.
»Ich bin nicht enttäuscht. Du hast noch niemals ein Tor zur Unterwelt geöffnet. Das ist auch gar keine alltägliche Aufgabe, daher erwarte ich gar nicht, dass es gleich beim ersten Mal gelingt. Das wäre zu viel verlangt. Wir haben noch Zeit.«
»Aber Sirona …«
»Es ist, wie Aelfthryd es gesagt hat: Man kann nichts erzwingen.« Er trat zu ihr. Sachte strich er mit seinen Fingern über ihre Wange. Dann nahm er ihr Gesicht in beide Hände, um sich über sie zu beugen und ihre Stirn, ihre Nase, die Wangen und Lippen mit Küssen zu bedecken.
»Denke niemals, dass du mich enttäuscht«, sprach er leise, seinen Atem über ihre Lippen hauchend. Seine Zunge drang zwischen ihre Lippen und tauchte in ihren Mund. Er schmeckte nach dem Mädesüßbier, welches Aelfthryd gebraut hatte.
»Ich will deine Sprache erlernen«, sagte sie zu Cel, als er den Kuss löste.
»Eins nach dem anderen.« Er lächelte sie auf eine Weise an, die ihr Herz erwärmte und ihren Leib. Erneut küsste er sie, dass ihre Knie weich wurden und ihr Körper erbebte. Cel zog sie in seine Arme. Lysandra drängte sich an ihn, um mehr von seiner Wärme zu spüren und seinen Duft tief einzuatmen. Er erinnerte sie an einen Sommerabend, berauschend und geheimnisvoll, mit einem Odeur nach Freiheit, Wildnis und Mann, das sie zutiefst betörte.
»Möchtest du zum Strand?«, fragte Cel, als er seinen Kuss unterbrach.
»Später.« Sie zog an seinem Gewand, was er mit einem Lächeln belohnte, das Glut durch ihren Körper jagte.
Von fiebrigem Verlangen erfüllt, streiften sie sich gegenseitig die Kleider vom Leib. Begierig ließ sie ihre Finger über seine Haut streifen. Sie fühlte sich so glatt an, so kostbar und wie eine einzige Verheißung.
Er ließ sich neben sie nieder aufs taubenetzte Gras. Das Spiel aus Mondlicht und den sich im Winde wiegenden Halmen zauberte filigrane Muster auf seine Haut, die sie verführten, diese nachzuzeichnen. Lysandra erlag der Versuchung und folgte den Linien zuerst mit den Fingern und danach mit der Zunge. Sie hatten nicht mehr viel Zeit, daher ging sie schneller ans Werk, als sie es sonst getan hätte.
Cels Hand lag zwischen ihren Beinen und vollführte dort Dinge, die sie um den Verstand brachten. Feuchte Nässe troff aus ihr heraus, um sich mit dem Morgentau zu verbinden. Cel umfasste ihre
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