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Der Kuss des Greifen

Der Kuss des Greifen

Titel: Der Kuss des Greifen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sharon Morgan
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zurück. »Das erzähle ich Hades. Der wird Euch in den Tartaros verbannen für diese Untat! Jawohl!«
    »Das mag sein, aber zuvor werfe ich Euch trotzdem in den Fluss.« Schon packte Cel den strampelnden Charon am Kragen seines schmutziggrauen Gewandes.
    Lysandra wusste nicht, ob sie lachen oder weinen sollte. »Für vierzig Drachmen könnt Ihr wochenlang jedes Wasch- und Putzweib bezahlen, das Euch gefällt«, sagte sie zu Charon. »Versucht Euch an keinem Wucher, nehmt das Geld und bringt uns über den verdammten Fluss.«
    »Also gut, das werde ich tun. Sagt diesem Barbaren nun, dass er mich loslassen soll.«
    Cel ließ von ihm ab. Charon fiel der Länge nach hin. Grummelnd erhob er sich. Lysandra, Cel, Sirona und Aiolos stiegen zu ihm in die Barke. Das Gefährt schwankte bedrohlich, als Charon zu rudern begann. Für sein Alter und seine ausgemergelte Gestalt schwang er das Ruder erstaunlich schnell. Das musste an der jahrtausendelangen Übung liegen. Der Fluss war wild. Hohe Wellen tosten.
    »Wie heißt dieser Fluss oder ist das ein See?«, fragte Lysandra. »Der ist ja gewaltig.«
    »Dies ist die Mitte, der Acheron, in den alles mündet. Die beiden Flüsse, die hier hinabstürzen, sind der Cocytos und der flammende Phlegeton. Schweig jetzt, denn wenn du einen Fremdenführer willst, musst du dafür extra bezahlen. Es wäre aber besser, du lässt mich in Ruhe, denn die Überfahrt ist nicht einfach. Wenn wir hier absaufen, haben wir ein Problem.«
    »Oder gar keine Probleme mehr«, sagte Cel mit einem Blick in die gluckernde, reißende, lodernde Flut. »Das ist kein gewöhnliches Wasser.«
    »Darauf wäre ich nicht gekommen. Welch aufmerksamer Beobachter du doch bist!« Charon lachte meckernd.
    »Aus was besteht es dann?«
    »Aus dem Blut eines Dämons, dem Schmerz einer Göttin, den letzten Tränen derer, die ihr Leben vergaßen, dem Atem eines Drachen und den Schwingen eines gefallenen Engels.«
    Geschickt umschiffte Charon die Insel aus Morast. Die kahlen schwarzen Äste von Sträuchern und Bäumen ragten in den sumpfgrauen Himmel. Eine derartige Schwärze wie in diesem Land hatte Lysandra niemals zuvor erblickt. Es war eine Dunkelheit, die sämtliches Licht zu verschlingen schien. Ein ewiger Abgrund, ein endloses Hinabstürzen.
    Als sie näher herankamen, vernahmen sie es: gequältes Seufzen, Schreie höchster Pein und endloser Agonie. Das langgezogene Wimmern von jenen, die aufgegeben hatten. Das Stöhnen der Verlorenen. Sämtliche Laute des Schmerzes.
    Kalte und heiße Schauer liefen über Lysandras Leib, die Schreie und das Stöhnen drangen durch ihr Gebein, ließen es vibrieren vor Angst und der Gewissheit auf ewiges Leid.
    Es hallte noch nach, als sie die Insel umrundet und längst hinter sich gelassen hatten. Lysandra konnte nicht anders, als zurück zu dieser endlosen Schwärze zu starren.
    Erst als ein süßlicher Duft sie einhüllte, wandte sie ihren Blick dem Land zu, das vor ihnen lag. Das Licht war dort noch diffuser, als wäre das Gebiet von Nebeln umgeben. Außer blassen Grün- und Violetttönen sah Lysandra fast nur Grau und Schwarz. Dennoch lockte sie der süßliche Blumenduft, der von überall her zu kommen schien.
    Charon hielt am anderen Ufer an. »Da wären wir.«
    Lysandra, Cel, Sirona und Aiolos sprangen aus dem Boot.
    Plötzlich vernahm sie ein heiseres Bellen wie aus vielen Kehlen. Das Bellen wurde zu einem Knurren. Dann sah sie ihn, den dreiköpfigen Kerberos, dem Geifer aus den drei zum Angriff aufgerissenen Mäulern lief. Er stand vor einem efeuumrankten Tor. Was sich dahinter befand, war unmöglich auszumachen.
    »Seid ich ihr überhaupt tot?«, fragte Charon stirnrunzelnd, den die Reaktion des Höllenhundes sichtlich irritierte.
    »Wieso? Ist das denn notwendig?«, fragte Cel.
    Charon starrte ihn an. »Ich glaube, das Hundilein ist etwas ungehalten.«
    »Ungehalten« war gut. Die gewaltigen Kiefer hatten die Ausmaße von Toren – zumindest kam es Lysandra so vor. Blutlust lag in seinem Blick. Von Hundilein konnte keine Rede sein.
    Charon war blass geworden. »Äh, ich fahr dann mal. Wünsche noch einen schönen Aufenthalt.« Er stieß seine Barke mit dem Fuß ab und paddelte eilig davon.
    Dreifarbig war der Hund: Einer seiner Köpfe war weiß, einer rotbraun und einer schwarz. Der Rest seines Fells war ebenso dreifarbig, als hätte man drei verschiedene Hunde desselben Wuchses, jedoch von unterschiedlicher Farbe auf grausame Weise miteinander vereint.
    Geifer troff aus jedem seiner

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