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Der Kuss des Greifen

Der Kuss des Greifen

Titel: Der Kuss des Greifen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sharon Morgan
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von ihnen erhob sich ein zerklüfteter, flechtenbewachsener Felsen. Dahinter befanden sich zwei schwarze Flüsse. Aus einem von ihnen züngelnden Flammen empor. Beide wurden zu Wasserfällen, die sich zu einem dunklen, reißenden Strom vereinigten, in dessen Mitte sich eine große Insel befand, die jedoch völlig versumpft wirkte. Das Land dahinter ließ sich kaum erahnen im von wogenden Dunstschwaden durchzogenen Licht.
    »Wo sind wir dann, wenn nicht in der Unterwelt?«, fragte Lysandra Aiolos.
    »In jenem Ort dazwischen, im Hain der Persephone. Wie friedvoll es hier ist. Oh, welch wunderschöne Ulme.« Aiolos lief auf den gigantischen, uralt aussehenden Baum zu.
    »Was hängt dort unter den Blättern? Nein, an den Ästen? Fledermäuse!« Aiolos sah sich die Kreaturen genauer an und erbleichte. Wortlos bedeutete er seinen Gefährten, zu ihm zu kommen. Als sie bei ihm waren, deutete er auf eine der Fledermäuse. »Diese Kreatur hatte kurz ihre Augen geöffnet.« Aiolos’ Stimme klang atemlos.
    Lysandra trat neben ihn. In diesem Moment öffnete die Fledermaus erneut die Augen, die waren wie schwarze Spiegel. Leblos und kalt, doch zeigten sich Bilder darin und zogen über die Pupillen.
    »Bei Hera und Persephone«, entfuhr es Lysandra. Sie erkannte Ereignisse in den Augen der Fledermaus. Ob es vergangene oder künftige waren, vermochte sie nicht zu sagen.
    »Sieh dir das an«, sagte Aiolos.
    Sie wandte ihren Blick der anderen Fledermaus zu, auf die er jetzt deutete, und erkannte darin den Albtraum, der die gesamte Mannschaft der Tanith heimgesucht hatte. »Dann sind dies Wahrträume, die zukünftige Ereignisse zeigen?«
    Aiolos schüttelte den Kopf. »Nein, es sind die falschen Träume, die an diesem Baum hängen.«
    »Woher weißt du das?«, fragte Lysandra.
    »Nur so ein Gefühl.«
    »Wie beruhigend.«
    Sie liefen vorbei an zahlreichen Bäumen, doch keiner war so prachtvoll wie diese Ulme. Womöglich war sie verzaubert. Lysandra würde es nicht wundern.
    »Seht dort, Charon, der Fährmann«, sagte Sirona, die voran lief.
    Lysandra hob eine Augenbraue. Tatsächlich stand dort Charon, dessen Hände auf dem Ruder lagen und dessen graubärtiges Kinn darauf gestützt war.
    »Irgendwie habe ich mir Charon anders vorgestellt. Der sieht doch aus wie ein Tattergreis«, sagte Sirona.
    Charon starrte finster zu ihnen herüber. »Das habe ich gehört!«
    »Verzeiht ihr, werter Charon«, sagte Aiolos. »Sie ist noch recht jung und weiß nicht, was sie sagt. Könntet Ihr uns freundlicherweise zur anderen Seite bringen?«
    Charon warf einen bösen Blick zu Sirona. »Was habt ihr mit dem Katzenvieh vor? Hades mag die Biester nicht. Sie zertrampeln immer seine Blumen.«
    »Ich bin kein Katzenvieh!«
    »Du siehst aber aus wie eines. Oder bist du etwa ein verzauberter Marder?«
    »Natürlich nicht!« Sirona hob beleidigt ihr weiß-rosa Näschen.
    »Könntet Ihr uns jetzt bitte auf die andere Seite bringen?«, fragte Aiolos erneut.
    »Die Überfahrt kostet zehn Drachmen, fünf Stater oder sechzig Oboloi pro Person – ich nehme alle Arten von Münzen, außer natürlich gefälschte.«
    »Das ist aber teuer«, sagte Lysandra.
    Charon grinste, sodass man bräunliche Zahnstummel sah. »Nur eine Folge der Inflation. Nichts ist umsonst, nicht mal der Tod.«
    »Bekommen wir nicht wenigstens Mengenrabatt? Immerhin sind wir zu viert und es ist nur eine Überfahrt nötig«, sagte Cel.
    Charon schüttelte den Kopf. »Hier gibts keinen Rabatt. Seht den tosenden Fluss. Denkt Ihr, es wäre einfach, ihn zu überqueren? Und die ganzen Unkosten, um diesen alten Kahn fahrtüchtig zu erhalten.« Er stieß ein meckerndes Lachen aus. »Ihr könnt Euch natürlich zu den Unbegrabenen, den ruhelosen Seelen, gesellen, und auf ewig am Flussufer entlangwandern. Zudem braucht Ihr Euer Geld im Reich des Hades ohnehin nicht mehr.«
    Wo er recht hatte …
    »Also gut.« Aiolos gab ihm zehn Drachmen. Auch Lysandra und Cel kramten Geld aus ihren Beuteln hervor, bis sie auf dreißig Drachmen kamen, und reichten sie dem gierig grinsenden Fährmann.
    »Für die Katze gibt das noch einen Aufpreis.«
    »Ich würde sagen, eher eine Ermäßigung, weil sie so klein ist«, sagte Cel.
    »Sie könnte mir aufs Boot pissen. Wer zahlt dann die Reinigung, hä?«
    Cel trat näher. Er war fast zwei Köpfe größer als Charon und aufgrund seiner Muskeln deutlich breiter. »Ich werfe diesen Zwerg jetzt in den Fluss und rudere selbst hinüber!«
    Charon wich tatsächlich vor ihm

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