Der Kuss des Jägers
welchen Mitteln in der Wohnung eines Mordverdächtigen zu schaffen gemacht
hat. Das ganze Haus hätte abbrennen können. Kommen Sie, Mademoiselle!«, wandte
er sich an Sophie. »Wie Sie sich denken können, habe ich noch ein paar Fragen.«
Gehorsam ließ sie sich von ihm ins Wohnzimmer und auf den am
weitesten von der Tür entfernten Sessel dirigieren. Wie war er so schnell
hergekommen? Die Ermittlerin musste ihn schon lange vor dem Knall darüber
informiert haben, dass sie in Jeans Wohnung gegangen war.
»Fangen wir ganz von vorn an«, beschloss der Capitaine und nahm
ebenfalls auf einem der altmodischen Sessel Platz. »Was haben Sie in Mérics
Wohnung zu suchen? Ich weiß, dass Sie mit ihm befreundet sind, aber ersparen
Sie mir das Märchen, er habe Sie gebeten, seine Blumen zu gießen.«
Was schon deshalb sinnlos wäre, weil es hier
keine einzige Pflanze gibt, stellte sie im Stillen fest und seufzte.
Lacour mochte freundlicher sein als Gournay, doch es änderte nichts daran, dass
sie wieder einmal nicht wusste, was sie sagen sollte. Um keinen Preis durfte
sie die SMS erwähnen, sonst würde er so lange
bohren, bis aufflog, dass Jean ein Handy benutzt hatte. »Ich bin nicht in
seinem Auftrag hier, aber er hat mir gestattet, seine Bibliothek zu benutzen.
Ich wollte nach einem Buch suchen, das man mir bei Delamairs nicht besorgen
konnte.«
»Aha.«
Wenn er mich jetzt fragt, wie ich reingekommen
bin, bin ich geliefert. Sie hatte keinen Schlüssel vorzuweisen und
wusste nicht einmal, ob zufällig einer an der Garderobe lag.
»Sie sind also nicht hier, um irgendwelche Beweise zu beseitigen
oder Unterlagen für seine Anwältin zu holen?« Er schmunzelte im Bewusstsein,
dass sie wohl kaum wahrheitsgemäß antworten würde, falls es so war.
»Nein! Was für Beweise sollten das denn sein? Für eine Verschwörung
gegen diesen Caradec? Die gab es nicht.«
»Wir haben hier eine Sammlung äußerst hässlicher Fotos gefunden, die
zumindest verraten, dass sich Ihr Freund erstaunlich oft in der Nähe bestimmter
Gewaltverbrechen befunden hat. Das kann kein Zufall sein.«
Nein, das wohl nicht. Er musste einen
Riecher dafür haben, doch das würde Lacour als Erklärung nicht reichen. »Ich
kann Ihnen nur versichern, dass er auf der richtigen Seite des Gesetzes steht.«
»Möglicherweise betrachtet er sich zu sehr als außerhalb des
Gesetzes stehend.«
Das konnte auch sie sich vorstellen, doch sie wollte es nicht
kommentieren. Sie zwang sich zur Aufmerksamkeit, aber es fiel ihr schwer, sich
auf das Gespräch zu konzentrieren. Immer wieder hörte sie innerlich das Wüten
des Dämons und den Knall, roch den schwefeligen Qualm, der dem Handabdruck
entstiegen war. Was war nur über sie gekommen, ihn zu ignorieren? Zum
wiederholten Mal schielte sie auf ihren unversehrten Arm und glaubte, ein
kurzes Prickeln zu spüren, wo die Klinge sie hätte schneiden müssen.
»Geben Sie zu, dass Sie hier waren, um jemanden zu treffen!«
Ertappt sah sie auf. »Nein! Wen denn? Jean ist doch in Haft, und
Raphaël hat sich auch gestellt.«
»Ach, das wissen Sie?«
»Er hat mir mitgeteilt, dass er es tun wird.«
»Und wie?«
»Per SMS .« Sie würde ihm nicht sagen,
dass es ihr gelungen war, ihn vor den Augen der ahnungslosen Ermittler zu
treffen. Ihre Verbindungsdaten wurden dagegen sicher ohnehin schon unter die
Lupe genommen. Was sie wohl besagten, wo Rafes Nachrichten herkamen?
»Sie tragen es mit Fassung, wie mir scheint.«
»C’est la vie, n’est-pas? Früher oder später
hätten Sie ihn gefunden.« Gott, klingt das abgebrüht. Wenn
ich nicht wüsste, dass sie ihn nicht festhalten können, würde ich ganz anders
hier sitzen. Lacour schien es zu wissen, woher auch immer, doch welchen
Reim würde er sich darauf machen?
»Sie behaupten also, Sie seien allein hier gewesen?«, hakte er nach.
Gonod erschien in der Tür und lehnte sich vorgeblich lässig an den
Rahmen, aber seine unruhigen Augen verrieten, dass er aufgewühlt war. »Die
Spurensicherung wird gleich hier sein.«
»Gut«, sagte Lacour sichtlich gereizt ob der Störung. »Massignon,
gehen Sie für heute nach Hause! Nachdem Sie Bekanntschaft mit Mademoiselle
Bachmann gemacht haben, werden Sie uns hier nicht mehr helfen können.«
»Oui, Capitaine«, rief die Polizistin aus dem Flur.
»Jetzt zurück zu Ihnen«, wandte er sich wieder Sophie zu. »Sie waren
nicht allein hier. Brigadier Massignon hat gehört, wie Sie sich mit einem Mann
gestritten haben.«
Sie konnte sich
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