Der Kuss des Jägers
Schwarz-Weiß-Film wieder. Der Eindruck wurde durch zwei gerahmte
Poster noch unterstrichen. Sophie stutzte. Greta Garbo als
Kameliendame. Und eine zweite Schauspielerin aus jener Zeit, deren Name
ihr gerade nicht einfiel. Konnte das Zufall sein? Aber welche Erklärung sollte
es sonst dafür geben? Verwundert sah sie sich um. Ein dunkler Schrank, eine
niedrige Kommode und ein ungemachtes Futonbett waren die einzigen Möbel. Die
abgestandene Luft roch nach Bettwäsche. Auch hier waren Schubladen durchwühlt
worden, von denen einige noch offen standen, aber Socken und ein zerknäultes
Hemd mochten bereits zuvor auf dem Parkettboden gelegen haben, den ansonsten
nur zwei Bettvorleger bedeckten.
»Ich sollte deinem Freund unbedingt erzählen, dass ich vor ihm mit
dir in seinem Schlafzimmer war.«
Vor Schreck blieb Sophie fast das Herz stehen. Sie fuhr herum und
starrte Kafziel an, der durch seine schiere Anwesenheit die Tür versperrte. Vor
dem helleren Flur wirkte er noch düsterer als bei ihrer letzten Begegnung. Sie
brachte kein Wort heraus.
»Ich sagte dir bereits, dass du naiv bist. Aus dem Gefängnis
geflohen …« Er schüttelte den Kopf. »Wie hätte er denn entkommen sollen? Du
glaubst wirklich alles, was man dir erzählt.«
Warum hatte sie nicht auf ihre Zweifel gehört? War sie denn dazu
verdammt, immer wieder auf ihn hereinzufallen? Aber die Handynummer hatte
gestimmt. Sie konnte doch nicht anfangen, hinter jeder Nachricht eine Falle zu
wittern.
»Es wird keine Nachrichten mehr geben«, meinte der Dämon. In seiner
Hand glänzte Stahl auf, doch dieses Mal war es kein Spielzeug. »Ich weiß, dass
dein Beschützer gerade sehr beschäftigt ist. Seien wir doch ehrlich. Du hast
das Spielchen ebenfalls satt. Die ständige Angst um deine Freunde und Familie.
Die Furcht vor mir. Die Vergeblichkeit, mit der du an diesem Engel hängst. Wach
auf, Schätzchen! Der Mann, den du suchst, ist tot.«
Es war die Wahrheit in seinen Worten, die ihr die Tränen in die
Augen trieb.
»Siehst du? Du weißt es. Ziehen wir einen Schlussstrich unter diese
ganze Sinnlosigkeit. Ich stelle dich ein letztes Mal vor die Wahl. Du kannst
jetzt brav mit mir kommen und als Teil des Rituals einen sanften, schmerzfreien
Tod haben. Oder …« In seinen Augen flackerte Bösartigkeit auf, die ihr einen
Schauer über den Rücken jagte. »… ich hinterlasse deinen aufgeschlitzten Körper
als blutige Botschaft auf diesem Bett.«
Sofort sah sie sich dort liegen, ein fahler, zerschnittener
Leichnam. Das Bild schnürte ihr die Kehle noch fester zu, doch in ihrem Kopf
tobte es. Das kann er nicht. Er kann es nicht. Als
Rafe noch Gadreel gewesen war, hatte er gesagt, er könne ihr nichts gegen ihren
Willen antun. Doch hatte der Mann in der Rue des Barres sterben wollen? Er muss es nicht tun. Er setzt mir so lange zu, bis ich es selbst
mache, damit die Qual aufhört.
Kafziel lächelte nur. Seine Finger spielten mit der Klinge.
Lauf weg! Wehr dich! Tu irgendwas! Panisch
sah sie sich nach einem Fluchtweg um, den es nicht gab. War es Rafes Stimme,
die sie plötzlich hörte?
»Wie lange willst du noch davonlaufen?«
Sie sah Kafziel an und doch durch ihn hindurch. Ja.
Wie lange eigentlich? Hier stand sie in der Wohnung des Mannes, der sein
Leben der Dämonenjagd gewidmet hatte, und ließ sich schon wieder durch Worte und
Gesten von diesem Teufel einschüchtern. Wie oft mochte Jean solchen und
schlimmeren Angriffen widerstanden haben? Aber er hat auch
nie Blut für einen von ihnen vergossen.
»Ganz recht. Du bist durch Blut an mich gebunden. Dein Leben ist
längst verwirkt.«
Aber … Der Gedanke traf sie wie ein Blitz.
»Das stimmt überhaupt nicht! Ich habe mein Blut nicht für dich vergossen,
sondern für Rafe. Ihm galt mein Opfer, nicht dir. Du bist nichts als ein
Lügner!«
»Du verstehst nichts von Magie!«, gab der Dämon wütend zurück und
deutete mit dem Messer auf sie. »Es war meine Klinge, mein Ritual, mein Tempel …«
Sie hörte nicht mehr zu, griff stattdessen in ihre Tasche, tastete
blindlings herum, schloss die Finger krampfhaft um das Kreuz und den Zettel, um
sie hastig herauszuziehen. »Weiche!«, schrie sie und hielt beides dem Dämon
entgegen, der auf sie zukam.
Er lächelte spöttisch, blieb jedoch stehen. »Das ändert gar nichts.«
Er lügt, er lügt, er lügt! »Ist mir egal,
was deine Zauberregeln besagen! Magie ist nichts als Dämonenwerk! Du hast die
Regeln gemacht, also kannst du sie auch brechen. Gib mich
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