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Der Kuss des Jägers

Der Kuss des Jägers

Titel: Der Kuss des Jägers Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sarah Lukas
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observiert wurde, konnte es dafür nur
zwei Erklärungen geben. Entweder hatten sie Jean bereits verhaftet und
weggebracht, oder er war noch nicht hier. Beide Vorstellungen verkrampften
ihren Magen. Ihr blieb nur zu hoffen, dass wie durch ein Wunder keine zutraf.
    Atemlos erklomm sie die letzten Stufen in den sechsten Stock und
erschrak. Jeans Tür stand einen fingerbreiten Spalt offen. Sie
haben ihn schon erwischt! Und dann hatten sie in der Eile die Tür nicht
weiter beachtet.
    Sophies Herz sank. Unschlüssig harrte sie auf dem Treppenabsatz aus
und versuchte ihre Gedanken zu ordnen, während sie wieder zu Atem kam. Es war
ebenso gut möglich, dass die Ermittler in der Woche zuvor vergessen hatten, die
Tür zu schließen, nachdem sie die Wohnung durchsucht hatten. Auf der Suche nach
Indizien oder Beweisen für Jeans vermeintliche weitere Verbrechen waren sie
sicher hier eingedrungen und hatten alles auf den Kopf gestellt.
    Für den Fall, dass ihr im Straßenlärm eine Nachricht entgangen war,
warf sie einen Blick auf das Handy, doch es zeigte nichts an. War Jean bereits
hier und hatte die Tür für sie offen gelassen? Sie scheute davor zurück,
unaufgefordert seine Wohnung zu betreten, doch wenn sie wissen wollte, woran
sie war, musste es sein.
    Zögerlich drückte sie die Tür weiter auf, bis der Spalt breit genug
war, um hindurchzuschlüpfen. »Jean?«, fragte sie leise in die Stille. Statt
einer Antwort knarrte nur die Schwelle unter ihren Füßen. Der Flur erstreckte
sich unverändert vor ihr. Eine Regenjacke hing an der Garderobe, darunter standen
ein Paar Joggingschuhe und eingestaubte Pantoffeln.
    »Jean?«, versuchte sie es ein wenig lauter, wagte sich weiter vor
und zog die Tür hinter sich zu. Nun konnte sie wenigstens kein Polizist mehr
von hinten überraschen. Etwas ermutigt näherte sie sich dem Durchgang zum
Wohnzimmer und spähte hinein. Einige der Vorhänge neben den bodentiefen
Fenstern, die mit verschnörkelten Eisengeländern gesichert waren, hingen nicht
mehr glatt herab. Die Türen und Schubladen der dunklen Möbel standen zum Teil
offen, aber immerhin war der Inhalt nicht auf dem Orientteppich verstreut. Oder
lag es nur daran, dass sie nichts enthielten als ein paar in Papier
eingeschlagene Gegenstände? Wieder verwirrte sie, dass Jean weder einen
Fernseher noch eine Stereoanlage besaß und es im ganzen Zimmer nichts
Persönliches gab. Der Raum wirkte beinahe noch leerer und ungenutzter als in
aufgeräumtem Zustand.
    Sie wandte sich ab, um einen Blick in die Küche zu werfen. »Jean?«
Wie hätte sie sich gefühlt, wenn sie nach Hause gekommen wäre und ihre Sachen
durchwühlt vorgefunden hätte? Es fiel ihr schwer, es sich überzeugend
vorzustellen.
    Vom Aschenbecher auf dem Küchentisch wehte der Geruch kalten
Zigarettenrauchs herüber, und in der Hitze hatten die Abfälle im Mülleimer
begonnen zu gären. In dem Durcheinander aus schmutzigem Geschirr, angebrochenen
Lebensmitteln, Handtüchern und ungeöffneter Post war kaum zu erkennen, ob sich
alles noch im selben Zustand wie vor Jeans Verhaftung befand. Fest stand nur,
dass niemand hier war. Rasch flüchtete Sophie vor dem Gestank.
    Sie glaubte nicht mehr daran, dass Jean bereits vor ihr hergekommen
war, doch sie brachte es auch nicht über sich, sich in das unbehagliche
Wohnzimmer zu setzen und auf ihn zu warten, ohne in den anderen Räumen
nachgesehen zu haben. Wieder einmal ging ihre Phantasie mit ihr durch.
Vielleicht hatte er sich angeschossen bis hierher geschleppt und war bewusstlos
irgendwo zusammengebrochen. Ihr Gewissen mahnte, dass die Idee nur ein
hanebüchener Vorwand war, um ihrer Neugier nachzugeben. Aber
wenn doch? Auf den dunkel gemusterten Läufern im Flur konnte man
getrocknete Blutflecken leicht übersehen.
    Sie näherte sich den beiden Türen, die sich am Ende des Flurs
gegenüberlagen. Auf der linken, der Seine zugewandten Seite befand sich Jeans
Bibliothek, wie sie wusste, also musste auf der anderen das Schlafzimmer sein.
Vorausgesetzt, er schlief nicht auf dem Sofa. So zerknittert, wie seine
Kleidung oft aussah, traute sie ihm in dieser Hinsicht seltsame Angewohnheiten
zu. Die Tür zu dem einzigen Raum, den sie noch nicht kannte, war geschlossen.
Als sie die Klinke bereits in der Hand hatte, überlegte sie es sich anders und
klopfte. Alles blieb still.
    Zaghaft öffnete sie das Zimmer und trat ein. Durch die geschlossenen
Fensterläden drang gerade genug Licht, dass es ihr vorkam, als fände sie sich
in einem

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