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Der Kuss des Jägers

Der Kuss des Jägers

Titel: Der Kuss des Jägers Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sarah Lukas
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immer mehr zu einer Masse weißen Make-ups und
blitzender Piercings, umrahmt von schwarzer Spitze und dunkelrotem Samt. Er
konnte nur hoffen, dass die Polizei weniger Elan an den Tag legte als er und
sich kein verdeckter Ermittler hier herumtrieb, denn die Sonnenbrille hatte er
abnehmen müssen, um in diesem Dämmerlicht überhaupt jemanden zu erkennen.
    Verdammt, das ist doch alles sinnlos! Lilyth konnte mittlerweile in einem der anderen Clubs sein, die er zuvor
besucht hatte, und er würde es niemals erfahren. Ebenso gut konnte sie unter
irgendeiner Brücke liegen oder tot in einem Müllcontainer. Wie sollte er sie in
dieser riesigen Stadt jemals finden? Sie konnte Paris sogar verlassen haben, zu
irgendeiner Bekannten, der sie vertraute, aufs Land gefahren sein. Erschöpft
rieb er sich die Augen. Ich bin einfach nur müde.
    Er würde sie schon auftreiben. Wenn nicht heute, dann morgen. Fürs
Erste musste er zurück ins Marais, sonst würde die Sonne aufgehen, bevor er das La Martinique erreichte.
    Vor dem Eingang des Clubs zog er das T -Shirt
aus, wendete es und setzte gerade die Sonnenbrille auf, als eine Handvoll
angeheiterter junger Leute auf die Tür zuhielt. Pflichtbewusst ließ er den
Blick über die schwarz gekleideten Gestalten wandern, deren Kichern und Johlen
so wenig zu ihrem düsteren Aussehen passen wollte. Die Kerle ignorierten ihn,
während eins der Mädels ihm etwas zurief, das der Alkohol zu unverständlichem
Lallen entstellte. Die anderen lachten. Lilyth war nicht bei ihnen, doch eine
der jungen Frauen kam ihm bekannt vor. Hatte er sie nicht schon einmal unter
den Mitgliedern ihres Zirkels gesehen, als er sie unbemerkt bei ihrem Unfug auf
dem Friedhof beobachtet hatte?
    »Du!« Er trat ihr in den Weg, sodass sie ihn verblüfft ansah.
»Entschuldige, aber bist du nicht mit Lilyth befreundet?«
    Ihr Teint hatte eine natürliche Farbe, doch ihre Augen umgab eine
Kajalwolke, als hätte sie geweint und sich dabei über die Lider gerieben – was
vermutlich nicht stimmte, aber womöglich ein beabsichtigter Effekt war.
»Lilyth? Klar, ich kenn sie. Warum?«
    »Weil sie wollte, dass ich ihr bei etwas helfe, aber ich erreich sie
schon seit Tagen nicht mehr auf ihrem Handy. Hast du sie vielleicht gesehen?«
    »O ja, das hab ich.« Ihre Miene verhieß nichts Gutes. »Mit Maurice,
diesem Arsch. Deshalb hab ich auch nicht viel mit ihr geredet, obwohl sie echt
übel aussah.«
    »Du bist Madeleine, oder?«, riet er ins Blaue. Maurice war ein Typ,
den alle Mädchen entweder toll fanden oder einen Arsch nannten, aber Lilyth hatte
ihm erzählt, wie Maurice Madeleine gegen eine Säule gestoßen hatte. Vielleicht
verbarg sich in der üppigen Mähne seines Gegenübers eine gar nicht so alte
Narbe.
    »Woher weißt du das?«, wollte ein anderes Mädchen erstaunt wissen.
»Bist du’n Hellseher oder so was?«
    Ob sie die Frage auch in nüchternem Zustand gestellt hätte? Jean
schüttelte den Kopf. »Nein. Bloß ein Freund, der sich Sorgen um Lilyth macht.«
    »Wenn sie was mit Maurice hat, kann sie Hilfe brauchen«, meinte
Madeleine. »Wenn du mich fragst, sah sie echt fertig aus. Irgendwie seltsam,
als ob sie Drogen intus hätte.«
    Es ist also noch viel schlimmer, als ich dachte. »Hast du eine Ahnung, wo ich sie finden kann?«
    Sie zuckte die trotz der kühlen Nacht nackten Schultern, die ihr
Korsagenkleid und die Spitzenhandschuhe unbedeckt ließen. »Weiß nicht. Maurice
hängt oft im Untergrund ab. Versuch’s doch bei L’Inconnue .«
    L’Inconnue. Jean sah das geheimnisvolle
Lächeln des toten Mädchens vor sich, das über hundert Jahre zuvor aus der Seine
gefischt worden war, und schauderte.

S eltsam, dass ich früher einmal
jeden Morgen gesehen haben soll, wie du aufwachst.«
    Sophie lächelte verschlafen, ohne die Augen zu öffnen.
Seine Finger spielten mit ihrem Haar, und sie wollte nicht riskieren, dass er
aufhörte. Wie lange war es her, dass er sie wachgeküsst oder auch nur – so wie
jetzt – auf ihrer Bettkante gesessen hatte? Es mussten bald fünf Monate
zurückliegen. »Meistens hast du’s nicht gesehen«, murmelte sie. »Du warst
nämlich ein Langschläfer.«
    »Tatsächlich? Na ja, warum auch nicht? Ich weiß es ja nur nicht
mehr.«
    »Schlafen Engel eigentlich nie?«
    Er lachte leise. »Nein. Warum sollten sie?«
    »Das muss komisch sein. Ich kann mir gar nicht vorstellen, nie zu
schlafen. Es ist eigentlich schön. Und man kann sich mal eine Pause gönnen,
weil alle es tun.«
    »Das Bedürfnis

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