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Der Kuss des Jägers

Der Kuss des Jägers

Titel: Der Kuss des Jägers Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sarah Lukas
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nickte sie. Es mochte eine grobe Datierung sein, doch
dass die Auslegung der Bibel und die Überlieferung der Sumerer ungefähr
dieselbe Zeit ergaben …
    »Natürlich kann dazu beigetragen haben, dass die jüdischen
Schriftgelehrten babylonische Überlieferungen kannten, die wiederum Mythen wie
das Gilgamesch-Epos aus sumerischer Zeit aufgriffen. Aber selbst wenn dadurch
die sumerischen Quellen zur einzigen, also zum Ursprung des Sintflutmythos
werden, ändert es nichts daran, dass wir keine ältere haben, die womöglich auf
eine andere Kultur verweisen würde. Und drittens kommt noch hinzu, dass die
Mesopotamier offenbar ein sehr umfangreiches Wissen über Dämonen hatten. Sie
führten fast alles Schlechte – zum Beispiel auch Krankheiten – auf Dämonen
zurück und kannten zahlreiche Beschwörungen.«
    »Also glaubst du, dass die Sumerer noch wussten, was vor der
Sintflut war, oder dass sie sogar noch Gegenstände aus dieser Zeit aufbewahrt
haben.«
    »So könnte man es sagen. Der springende Punkt ist, dass es in
Mesopotamien eine starke Kontinuität gab. Wenn alle späteren Kulturen – die
Babylonier, Akkadier und so weiter – stets Elemente ihrer Vorgänger bewahrten,
warum sollte dann das sumerische Wissen nicht von seinen Vorläufern beeinflusst
sein? Vor der dynastischen Zeit, die mit Etana begann, also aus mythischer
Sicht vor der Sintflut, blühte dort immerhin bereits die Kultur von Uruk. Und
es waren ja unter anderem die Zauberkünste, die die abtrünnigen Engel die
Menschen gelehrt haben sollen. Das würde erklären, warum Magie gerade hier eine
so große Rolle spielte, dass sie schließlich auch andere Kulturen beeinflusste.
Die Sumerer waren übrigens auch die ersten, die geflügelte Gestalten
darstellten, aus denen wahrscheinlich die späteren Vorstellungen geflügelter
Engel – und Dämonen – hervorgingen.«
    »Oh, diese bärtigen Männer mit Flügeln kenne ich! Die habe ich
gesehen, als ich mit Rafe im Louvre war.« Die Erinnerung an den fernen
glücklichen Tag legte sich wie eine Wolke über ihr Gemüt.
    »Na, dann weißt du ja schon, wo ich dich hinschicke.«
    »Du willst, dass ich mir die Mesopotamien-Abteilung anschaue und
dabei nach dem Schlüssel Ausschau halte? Aber worauf soll ich denn dabei
achten?«
    »Ehrlich gesagt weiß ich das auch nicht so genau. Mir würde
vielleicht an der einen oder anderen Symbolik etwas auffallen, aber ich bin
kein Altorientalistik-Experte, also ist dein Urteil ebenso gut wie meines.
Glaub mir, ich würde sofort mitgehen, aber ich kann nicht mit Sonnenbrille
durch den Louvre laufen. Und ohne ist es zu heikel. Kaum ein Ort wird so gut
überwacht.«
    »Ja, keine Sorge, das verstehe ich. Ich will auf keinen Fall, dass
sie dich schnappen!«
    Er lächelte – über ihren Eifer? »Ich habe ohnehin eine bessere Idee.
Wenn er einverstanden ist, nimm Raphael mit. Falls es unter den Exponaten
irgendetwas gibt, das eine magische Aura hat, kann er es besser spüren als du
oder ich.«

L ass dich nicht erwischen.«
    Jean nickte. Im Halbdunkel des Flurs wirkten Sophies graue
Augen beinahe schwarz. Ihr eindringlicher Blick weckte in ihm das Verlangen,
eine verirrte Strähne aus ihrer Stirn zu streifen, doch der Gedanke an den
Engel, den sie liebte, hielt ihn davon ab. »Mach dir keine Sorgen um mich. Sieh
lieber zu, dass dir nichts passiert!« Widerstrebend
löste er den Blick von ihren Augen und beugte sich vor, um sie zum Abschied auf
die Wangen zu küssen. Wenn nur ihre Lippen nicht so einladend ausgesehen hätten
… Rasch sah er weg und zwang sich zu den vier flüchtigen Küssen, die das
Pariser Ritual ihm gestattete. Ihr so nah zu sein, die weiche Haut und den Duft
ihres Haars wahrzunehmen und sie sofort wieder loslassen zu müssen, war Freude
und Folter zugleich. Sei vernünftig! Die Bullen suchen
sicher schon nach ihr.
    Rasch öffnete er die Tür einen Spalt und spähte auf den verlassen
daliegenden Hinterhof. Das Licht aus Fenstern höherer Stockwerke war die
einzige spärliche Beleuchtung. Durch eine Toreinfahrt hallten vorübergehende
Schritte. Ferner Straßenlärm und das gedämpfte Plärren eines Fernsehers
vertieften nur die Stille zwischen den Häusern. In der lauen Nachtluft mischte
sich der Bratendunst aus der Küche des La Martinique mit
fauligem Geruch aus den Müllcontainern und zog Katzen an, die lautlos um die
Tonnen strichen. Kein Mensch war zu sehen. Sophie würde dennoch vorsichtig sein
müssen, damit kein Polizist sie aus dem Hof kommen sah,

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