Der Kuss des Jägers
echter Überraschung an. »Äh … vielen Dank für
die Warnung. Das … ist wirklich sehr nett von Ihnen. Bekommen Sie denn keinen
Ärger, wenn Sie mir das erzählen?«
»Nicht, solange Sie mich nicht verpfeifen«, erwiderte er ernster,
als seine Wortwahl nahe legte. »Hören Sie, ich bin auf Ihrer Seite. Wenn das
Leben meiner Freundin in Gefahr gewesen wäre, hätte
ich auch alles getan, um sie zu retten. Als Polizist weiß ich, dass es gegen
das Gesetz ist, aber wenn es hart auf hart kommt … Jedenfalls wünsche ich Ihren
Freunden nichts Schlechtes. Ich versuche, alles zu finden, was sie von den
schlimmsten Vorwürfen entlastet. Das müssen Sie mir glauben, aber …«
War das ein Versuch, sich ihr Vertrauen zu erschleichen?
»Na ja, ich weiß nicht, wie Ihre Freunde
es geschafft haben, aus dem Knast auszubrechen, aber ihnen sollte klar sein,
dass sie damit alles nur schlimmer gemacht haben – sollte man sie jemals
fassen.«
Sophie nickte bedächtig. »Das ist ihnen sicher bewusst, aber sie
haben ihre Gründe – gute Gründe.« Unsicher sah sie ihn an. Durfte sie ihm
trauen? Auch wenn er Verständnis für ihre Lage aufbrachte, blieb er Polizist
und würde Jean gewiss wieder verhaften, wenn sich die Gelegenheit bot.
»Einen besseren Grund als den Wunsch, frei zu sein?«, zweifelte
Gonod.
»Ja.« Wie sollte sie es erklären, ohne Jeans Vorhaben zu verraten?
Sie musste es bei Andeutungen belassen, die im Grunde nichtssagend waren, doch
sie brachte es nicht über sich, einfach zu schweigen. »Sie sind beide nicht
sehr eigennützig und haben mehr das Wohl anderer im Auge.«
»Wie darf ich das denn verstehen? Sind Sie noch immer in Gefahr?
Warum erzählen Sie das nicht uns?«
Weil Sie mir niemals glauben würden. »Es …
geht nicht nur um mich.« Ihr fiel nichts ein, was sie sonst hätte sagen können,
ohne Nachfragen geradezu herauszufordern.
Gonod schien noch einen Augenblick zu warten, ob sie fortfahren
würde. Er bewegte sich beinahe unmerklich, aber doch ständig auf der Stelle,
und Sophie merkte, wie seine unterschwellige Ungeduld sie allmählich ansteckte.
Nervös spielte sie mit dem Schlüssel in ihrer Jackentasche. Als sie stumm
blieb, ergriff der Brigadier wieder das Wort.
»Ich bin nicht blind, Mademoiselle. Es liegt auf der Hand, dass hier
etwas Seltsames vor sich geht. Lacour mag das alles für Hirngespinste halten.
Er ist so sehr Materialist, dass er die Sache mit dem Handabdruck schon wieder
verdrängt hat, nur weil die Spurensicherung keine natürliche Erklärung dafür
findet. Aber ich will wissen, was wirklich
dahintersteckt.«
»Oh.« Erneut musterte sie ihn mit neuen Augen. Er schien tatsächlich
aufgeschlossen zu sein, doch änderte es etwas daran, dass sie in Bezug auf Jean
und Rafe auf unterschiedlichen Seiten standen? Vielleicht war es auch nur ein
weiterer Versuch, um sie einzuwickeln. Gab es im Film nicht immer diese
Verhörspielchen »guter Cop – böser Cop«? Alles, was sie ihm sagte, konnte er am
Ende gegen sie verwenden. »Was glauben Sie , was in
Jeans Wohnung geschehen ist?«
Er machte eine unentschiedene Geste. »Es ist schwierig, etwas zu
glauben, das man nicht mit eigenen Augen gesehen hat.« Fragend sah er sie an,
doch er rechnete wohl nicht mit einer Antwort, sonst hätte er länger
geschwiegen. »Aber bei der Recherche habe ich nirgends etwas Vergleichbares gefunden,
also bin ich zu einem Priester gegangen, den wir im Auge haben, weil er
Exorzismen durchführt. Nicht, dass wir ihn wirklich für gefährlich halten
würden«, rechtfertigte er sich hastig. »Es ist nur eine Vorsichtsmaßnahme, weil
schon Menschen dabei zu Schaden gekommen sein sollen. Unsere Mediziner sagen,
die Leute, die dort hingehen, müssten eigentlich zum Psychiater. Na, egal,
darum geht es ja nun nicht. Ich bin also mit den Fotos vom Tatort zu ihm
gegangen und war ziemlich verblüfft, als er sofort ein Buch aus seiner
Bibliothek holte, in dem ganz ähnliche Abdrücke abgebildet sind. Hat ihn sehr
beeindruckt, dass Sie gesagt haben, das Ding sei nach dem Streit mit einem
Dämon zurückgeblieben. Am liebsten würde er wohl mit Ihnen darüber sprechen,
aber ich habe die Angelegenheit natürlich vertraulich behandelt.«
Ob Jean diesen Priester kannte? Vermutlich. Trotzdem hätte sie nicht
gewollt, dass er mit ihr Kontakt aufnahm. Sie musste endlich auf Lara hören und
sich nicht noch mehr in diese Kreise hineinziehen lassen. Wie sollte sie sonst
je wieder ein normales Leben führen?
Erst jetzt
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