Der Kuss Des Kjer
war ebenso wenig misszuverstehen. Still ließ Lijanas sich von ihm auf eines der Pferde heben, während Ecren sich nach einem deutlichen Zögern auf das zweite Kriegsross schwang. Im Eingang des Seuchenhauses stand Peider und starrte die Ashentai an, hin- und hergerissen zwischen Betroffenheit und Bewunderung. Lijanas streichelte den Hals ihres Pferdes.
Dabei leuchteten die Felle der Tiere im Fackelschein noch nicht einmal in ihrer eigentlichen Pracht. Als Ecren die Zügel ihres Rosses ergriff und es mitzog, protestierte sie nicht. Sie drehte sich im Sattel um und sah gerade noch, wie Mordan die Türen des Seuchenhauses schloss.
In Faderas Herberge erwartete sie Schweigen. Und obwohl keiner sprach, waren die Blicke der Krieger mehr als beredt.
Am nächsten Morgen empfing Peider sie mit der Nachricht, dass Terodh in der Nacht gestorben war. Sie nahm es mit einem Nicken hin, während sie an Corfars Lager niederkniete und dem Krieger die Hand auf die glühende Stirn legte. Als sie dann auf, schaute, stand Mordan neben ihr. Er sprach vollkommen tonlos, während er ihr Bericht erstattete. Außer Terodh gab es in dieser Nacht noch fünfzehn weitere Tote zu beklagen. Sie hatten die Namen auf den Krankenlisten gekennzeichnet und die Leichen sofort verbrannt. Kurz vor dem Morgen war Galedhs kleine Tochter gebracht worden; sie war schon zu dieser Zeit nicht mehr bei Bewusstsein gewesen.
Corfar hatte sich bis vor etwa einer Stunde ununterbrochen übergeben, zuletzt hatte er nur noch Blut gespuckt, doch dann war er in einen tiefen Schlaf gefallen. Gerne hätte Lijanas das als gutes Zeichen genommen, aber sie wusste es besser.
Kurze Zeit später erschien Ecren im Seuchenhaus, um an Corfars Lager Wache zu halten. Mordan jagte ihn mit groben Worten davon; Brachan und Levan erging es einige Stunden später nicht besser. Obwohl sie versuchte, ihre Arbeit wie jeden Tag zu verrichten, ertappte Lijanas sich mehrfach dabei, wie ihre Schritte sie zu seinem Lager führten und dass sie sich anstrengte, sein Stöhnen unter dem der anderen Kranken herauszuhören. Mittag war vorbei, als sein Fieber überraschenderweise fiel und sie gegen alle Vernunft hoffen ließ. Bis zum Abend hatte er das Bewusstsein wieder, erlangt. Doch keine Stunde, nachdem die ersten Flammentürme gelöscht worden waren, kam das Fieber mit entsetzlicher Wucht zurück und raubte ihm die Sinne.
Diesmal war es Lijanas, die Mordan daran erinnerte, dass es Zeit war, zur Herberge zurückzugehen. Sie war nicht überrascht, dass er ihr mitteilte, er werde die Nacht hier verbringen.
Am nächsten Morgen ging es Corfar nicht besser, aber erstaunlicherweise auch nicht schlechter. Mordan lehnte mit der Schulter an der Mauer neben dem Lager des Kriegers, als Lijanas das Seuchenhaus betrat. Im ersten Moment glaubte sie, die Krankheit hätte auch ihn befallen, doch kaum wandte sie sich in seine Richtung, hob er den Kopf. Er wirkte erschöpft, unter seinem Auge lag ein dunkler Ring, Wangen und Kinn trugen schwarze Bartstoppeln, aber er zeigte keine Krankheitszeichen. Ihre Versuche, ihn dazu zu überreden, sich irgendwo eine ruhige Ecke zu suchen und einige Stunden zu schlafen, ignorierte er und ging stattdessen wie jeden Tag seiner Arbeit nach.
Als Corfar am Abend noch immer am Leben war und sich bisher weder nässende Wunden auf seinem Körper gezeigt hatten noch ihm Blut aus der Nase rann, begann die junge Heilerin tatsächlich zu hoffen. Vielleicht unterschied sich das Volk der Kjer genug von den Bürgern Cavallins und den Nivard, um die Seuche überleben zu können.
Ihre Zuversicht wurde zwei Stunden später zunichtegemacht, denn Corfar wand sich plötzlich in Krämpfen und schlug um sich. Es gelang Mordan kaum, ihn zu bändigen -
bis der Krieger sich jäh krümmte, als hätte man ihm einen Dolch in den Bauch gerammt, und dann nach einem schier endlosen Ausatmen endgültig still lag.
»Ich werde Peider sagen, dass er und Galedh seine Leiche ins Feuer hinaustragen sollen«, murmelte Lijanas nach einer kurzen Zeit, in der sie stumm neben Mordan und dem Toten gestanden hatte.
»Nein!« Der dunkle Krieger hatte Corfar eben die Augen geschlossen, nun blickte er heftig auf. »Er wird bestattet, wie es einem Krieger der Kjer zusteht! «
»Das kann ich nicht erlauben! Ihr wisst ... «
Er schoss mit gebleckten Zähnen vom Boden hoch. »Ihr könnt es nicht erlauben? -
Was glaubt Ihr, wer Ihr seid? - Ich brauche Eure Erlaubnis nicht, wenn es darum geht, wie einer meiner Legaten
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