Der Kuss Des Kjer
Ansatz, gerade und schmal. Ob sie einmal gebrochen gewesen war? Ein Lächeln stahl sich in einen Mundwinkel. Wahrscheinlich hatte sie sich mit einem jungen geprügelt. - ja, das würde zu ihr passen. Wie so oft hatte sie die Unterlippe zwischen die Zähne gezogen. Er wusste, wie weich dieser Mund war, immerhin hatte er ihn schon einmal gekostet - auch wenn sie ihn letztendlich gebissen hatte. Vor dem Feuer wirkte ihr graziler Körper beinah durchscheinend. Er schloss das Auge und sah das Bild noch immer vor sich. Wann ist es passiert? Wann habe ich mich in dieses anmutige Wesen verliebt? - Sie hasst mich! Wahrscheinlich würde sie sich eher zu einem Schwein legen, als zuzulassen, dass ich sie berühre! - Es muss aufhören!! - Verdammt! Warum kann man Gefühle nicht einfach zum Verlöschen bringen wie ein Feuer? Heftig tauchte er gänzlich unter, die Finger so hart um den Rand des Zubers gekrallt, dass seine Knöchel weiß hervortraten.
Das heftige Plätschern ließ sie sich überrascht umwenden. »Kjer?« Lijanas richtete sich ein Stückchen auf, versuchte, einen Blick in den Zuber zu erhaschen. Seine Finger lagen um den Rand, sie konnte seine Knie sehen, die über das Wasser ragten, aber sein Kopf war darunter verschwunden. Sie wartete schweigend, dass er wieder auftauchte, doch nichts geschah. War das ein Scherz? Wollte er sie erschrecken und sie dann auslachen, wie Ahmeer es manchmal tat? »Kier?«, sagte sie nach einem weiteren Moment noch einmal in die Stille hinein. So lange kann nun doch nicht den Atem anhalten?! Zögernd stand sie auf und ging zu dem Zuber hinüber. Sein Körper war deutlich unter der im Licht glitzernden Oberfläche zu erkennen - jede beeindruckende Einzelheit. Hastig wandte sie den Blick höher. Das schwarze Haar wogte um seinen Kopf, er hatte die Augen geschlossen, die Lederklappe fehlte.
Winzige Luftblasen stiegen von seiner Nase auf und zerplatzten an der Oberfläche.
»Kjer?« Sie beugte sich tiefer. Er schoss so unvermittelt hoch, dass sie das Gleichgewicht verlor, als sie hastig zurückweichen wollte. Seine Finger schlossen sich um ihr Handgelenk und hielten sie fest. Wasser rann aus seinen Haaren, glänzte auf seinem Gesicht, seiner Brust und den Schultern, während er sie einen scheinbar ewig dauernden Herzschlag lang anblickte - bis er wie aus einer Trance erwachte und sich jäh wegdrehte. Erst als er nach der Lederklappe griff, erkannte sie, warum - er wollte nicht, dass sie ihn ohne dieses schwarze Ding sah. Schweigend reichte sie ihm ein Handtuch, damit er sich wenigstens das Gesicht abtrocknen konnte, bevor er sie anlegte, und wandte sich ab. Warum will er nicht, dass ich ihn ohne die Klappe sehe?
So sehr ist er durch das fehlende Auge doch gar nicht entstellt. Nein, es sah ja beinah so aus, als hätte er noch ... Sie fuhr herum, doch es war bereits zu spät. Das schwarze Leder lag wieder über der Höhle. Soll ich ihn danach fragen? -Natürlich!
Sofern ich keine Antwort erwarte.
»Bei allen Rachegeistern, was sollte das eben, Heilerin?«, blaffte er, noch ehe sie den Mund öffnen konnte.
»Ich dachte, Ihr wärt ertrunken, so lange, wie Ihr unter Wasser wart«, fauchte sie zurück und stemmte die Hände in die Seiten.
Er blinzelte, sah sie ein wenig verblüfft an. » Ihr habt Euch Sorgen um mich gemacht?«
ja, du Ochse! -Auch wenn ich selbst nicht verstehe, warum. »Nein! Ich wollte mich nur vergewissern, damit ich die Gelegenheit nutzen und davonlaufen kann! «, schnappte sie und spritzte ihm Wasser über.
»Tststs, Heilerin, das war eben ein Fehler. Ihr hättet mir nicht sagen dürfen, dass Ihr immer noch an Flucht denkt. Nachdem ich es weiß, werde ich Euch wohl wieder fesseln müssen, wenn wir Cavallin verlassen haben.« Das Handtuch traf sie direkt im Gesicht. Als sie wieder etwas sehen konnte, bemerkte sie das Glitzern in seinem Auge. Es war so unfassbar, dass sie einen Moment brauchte, um es zu begreifen: Er hatte gescherzt!
»Vielleicht solltet Ihr den Mund wieder schließen, Heilerin?«, bot er so liebenswürdig an, dass sie ihn für die Dauer eines tiefen Atemzugs verdattert anstarrte, ehe sie seinem Vorschlag nachkam. »Und jetzt könnt Ihr wieder ... « Er machte eine scheuchende Bewegung mit der Hand und auf einmal wurde Lijanas bewusst, dass seine andere unter Wasser verschwunden war. Ach? Schamhaft? Na warte!
»Warum sollte ich?« Sie verschränkte die Arme vor der Brust und schaute auf ihn hinab. Lange gab er den Blick mit unbewegter Miene
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