Der Kuss Des Kjer
eisernen Ring um den Hals hastete herbei, um mit einer demütigen Verbeugung die Zügel des weißen Kriegsrosses entgegenzunehmen. Ganz kurz nur begegnete Lijanas seinem Blick, als er es wagte, für einen winzigen Moment die Augen zu heben und sie anzusehen - Furcht stand darin. Schnell schaute er wieder zu Boden, beeilte sich, das Ashentai wegzuführen. Jerdt packte Lijanas am Arm und wandte sich um - seltsam benommen ließ sie es geschehen, dass er sie mit sich zerrte - und stockte mitten in der Bewegung, den Blick auf zwei Banner gerichtet, die übereinander an einem Pfahl hingen und träge im Wind flappten.
Im nächsten Herzschlag hallte sein wütender Ruf zwischen den Zelten.
Eine gefährliche Stille senkte sich über den Platz, dann schob sich eine dunkelhaarige Frau durch die Reihen der Männer, von seinem Gebrüll offenbar völlig unbeeindruckt. Sie wirkte wie jemand, der gespannt darauf wartet, wie einer auf einen bösen Streich reagiert. Mit einem Nicken und etwas, was wie ein Gruß klang, blieb sie vor ihm stehen, die Faust auf den Griff des Schwertes gestützt, das sie an der Seite trug.
Sie hatte noch nicht geendet, da herrschte Jerdt sie auch schon in scharfem Ton an und gestikulierte zu den beiden Standarten hin.
Mit einem scheinbar erstaunten Blick schaute die Kriegerin kurz in die Richtung, in die er wies, ehe sie ihn wieder ansah und etwas mit einem süffisanten Lächeln erwiderte.
Jerdts Reaktion klang wie eine wütende Frage - die Antwort kam von jemandem, der sich hinter ihm befand.
Beim Klang der Stimme wich mit einem Schlag alle Farbe aus dem Gesicht von Haffrens zweitem Heerführer. Grinsend schlug die Kriegerin im militärischen Gruß die Faust gegen die Brust.
Jerdt fuhr herum, riss Lijanas in der heftigen Bewegung mit sich. Schmerz rann durch ihren Rücken, sie ächzte hilflos - und starrte den Kj er an, der nun vor ihr stand.
Mordans sturmgraues Auge heftete sich auf die junge Heilerin. In einem gefährlichen Lächeln blitzten seine Eckzähne, als er zu Haffrens zweitem Heerführer sprach.
Sie stöhnte leise, als Jerdts Finger sich für einen Atemzug tiefer in ihren Arm bohrten, nur um sie dann unvermittelt freizugeben. Die Worte des blonden Kjer klangen erfreut, während er den anderen überschwänglich umarmte. Doch dann trat er zurück und musterte ihn eingehend, wobei er scheinbar etwas in besorgtem Ton fragte.
Mordans Antwort war knapp und spöttisch. Ein kaltes Lächeln zuckte um die Lippen des dunklen Kriegers, während sein Blick unverwandt auf Lijanas gerichtet blieb. Sie sah ihn ihrerseits an, konnte immer noch nicht fassen, dass er tatsächlich vor ihr stand. Doch dann gab es nur einen Gedanken: Jetzt wird alles gut!
Geradezu gelangweilt griff Mordan nach dem Ende des Strickes, mit dem sie gefesselt war, wand ihn sich nachlässig um die Hand und zog sie mit jeder Windung näher heran, bis sie direkt vor ihm war, die Handgelenke an seiner Faust. An seinem Finger glänzte der schwere goldene Siegelring, den sie schon zuvor an einem Lederband auf seiner Brust gesehen hatte.
Jerdts Antwort hinter ihr klang seltsam gepresst, beinah glaubte sie, nur mühsam beherrschten Zorn darin zu hören. Ganz langsam strich der dunkle Krieger mit dem fellweichen Handrücken über ihre Wange abwärts, packte sie unvermittelt im Haar und zwang ihren Kopf in den Nacken, während er sie zugleich noch dichter zu sich heranzog. »Davonzulaufen war ein Fehler, Heilerin, den ich Euch noch bereuen lassen werde! « In seinem Atem war ein seltsam sauersüßer Geruch, vor dem sie unwillkürlich zurückweichen wollte. Sein Griff verhinderte es.
» Ihr tut mir weh! «, stieß sie mühsam hervor. Die Erleichterung darüber, dass er am Leben war, dass er hier war, verflog. Das ist ein Albtraum!
»Bis die Sonne untergeht, werde ich Euch noch ganz anders wehgetan haben, Heilerin.«
Der Ton in seiner Stimme sagte ihr sehr deutlich, was er damit meinte. Hilflos blickte sie ihn an und bemerkte, dass er auf irgendetwas herumkaute, beobachtete, wie er mehrmals trocken und mühsam schluckte, als sei seine Kehle zu eng. Seine Finger fühlten sich heiß und feucht auf ihrer Haut an. In dem seidigen Fell an seiner Schläfe hingen fahle Schweißtropfen und die schwarze Mitte seines sturmgrauen Auges war nicht größer als die Spitze eines Federkiels - plötzlich wusste sie, warum er in der Lage war, auf seinen eigenen zwei Beinen zu stehen; warum er den Eindruck machte, als sei er im Vollbesitz seiner
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