Der Kuss Des Kjer
bestrafen? Dann würde ich Jerdt vorziehen. Im Augenblick ist er unberechenbar.
Sie sah zum lederverhängten Zelteingang hin, während sie stumm zu allen guten Geister flehte, dass Mordan bald kommen möge - ehe sie nichts mehr für ihn tun konnte. Aber er kam nicht. Von draußen drang das Gelächter von Männern herein. Sie hörte die Stimmen der vor dem Eingang postierten Krieger, als sie jemandem antworteten. Schreie erklangen und verstummten wieder. Sie musste an Ahmeer denken, fragte sich, wie es ihm ging, was die Kjer ihm und seinen Männern wohl antun mochten. Verzweifelt vergrub sie den Kopf zwischen den Armen. Es gab unter den Kjer nur einen, den sie um Hilfe bitten konnte - und der bewegte sich gerade auf einem sehr schmalen Grat.
Irgendwann streckte sie die tauben Beine auf den weichen Bodenfellen von sich und ließ den Blick durch das Zelt wandern. Die vier Seitenpfosten waren mit eingebrannten Symbolen und silbernen und goldenen Nägeln verziert, der Mittelpfosten jedoch war völlig schmucklos. Lederriemen hingen von seiner Spitze bis beinah auf den Boden hinab, der verschwenderisch mit Fellen und Teppichen bedeckt war. Feuerbecken spendeten angenehme Wärme, tauchten alles in behagliches, goldenes Licht und ließen die Beschläge einiger schwerer Truhen ebenso glänzen wie die Klingen von Waffen, die griffbereit in einem hölzernen Gestell lehnten. An den Seitenwänden hing das Seedrachenbanner Astrachars zusammen mit den Ährengarben Tejidannars und dem roten Turm von Sajidarrah neben Wappen, die ihr unbekannt waren. Alle waren sie angesengt oder mit Blut bespritzt - Trophäen vergangener Schlachten. Kostbare Wandteppiche waren dazwischen festgemacht, auf denen Reiter mit ihren Hunden einen Hirsch hetzten, ein Eber von einem Jäger zu Pferd gestellt wurde und eine Herde Ashentai-Rösser über eine Ebene galoppierte.
Hinter dem Bett hing ein Teppich, der offenbar aus feinster Fehan-Seide geknüpft war. Auf einem dunkelblau schimmernden Hintergrund er, hob sich ein steiler Felsen, zu dessen Füßen die blutigen Leichen eines Wolfsrudels lagen. Oben, auf der Spitze des Felsens, hatte ein einzelner Wolf den Kopf in den Nacken gelegt und heulte seinen Schmerz zu den drei vollen Monden hinauf, die alles in silbriges Licht tauchten.
Als vor dem Eingang des Zeltes erneut Stimmen erklangen, richtete die dunkelblonde Kjer sich erwartungsvoll ein wenig weiter auf. Dann wurde die Zeltklappe geöffnet und Mordan trat ein. Sein Blick schweifte durch den Raum, streifte die Frau auf dem Bett nur beiläufig und blieb an Lijanas hängen. Langsam zog sie die Beine an und erhob sich steif auf die schmerzenden Knie. »Kjer, bitte ... «
Die Frau stand schnell von ihrem Platz auf, schaute giftig zu Lijanas, während sie auf den dunklen Krieger zuging und ihm den mit Wein gefüllten Becher mit einer geschnurrten Begrüßung entgegenhielt. Nur langsam wandte sein Auge sich ihr zu.
Seine Hand bewegte sich mit für ihn ungewohnter Langsamkeit, als er ihr den Becher abnahm und an die Lippen führte.
»Kjer, nein! Ihr dürft nicht ...«
Mit einem Zischen sah er Lijanas wieder an. »Schweigt, Heilerin! Ich will kein Wort von Euch hören! «
Die Frau schlang die Arme um seinen Hals, schmiegte sich an ihn und raunte ihm lächelnd etwas zu.
»Kjer, bitte, hört mir zu ... «
»Ihr sollt ruhig sein, habe ich gesagt!« Seine Stimme war rau, drohte zu kippen.
» Bitte, ich will doch nur ... «
»Still!« Er zeigte ihr seine Reißzähne. Der Becher traf mit gefährlicher Genauigkeit den Pfosten knapp über ihr. Hastig duckte Lijanas sich, spürte, wie Wein über sie spritzte. Schmerz flammte über ihren Rücken, entlockte ihr ein Keuchen.
Wahrscheinlich hätte Mordan sich auf sie gestürzt, hätte die Frau sich nicht erneut an ihn gepresst, darauf bedacht, seine Aufmerksamkeit von der vermeintlichen Rivalin abzulenken. Seltsam irritiert wandte er sich ihr wieder zu. Ihr Knie glitt an seinem Bein empor. Ihre Stimme war ein kehliges Schnurren, als sie sprach. Sie vergrub die Hände in seinem Haar und küsste ihn voll auf den Mund, nur um ihre Lippen einen Moment später mit einem atemlosen Lachen von seinen zu lösen. Lijanas zwang sich, das Brennen der Striemen nicht zu beachten.
»Kjer, bitte, hört mir nur einen ... «
» Ruhe! «
Lijanas verstummte entsetzt, starrte den Dolch an, der im Holz des Pfostens vibrierte. Ein Fingerbreit weiter ... Nur mit Mühe konnte sie die Augen von der todbringenden Klinge reißen, das
Weitere Kostenlose Bücher