Der Kuss Des Kjer
langen Augenblick verharrte sie reglos, wartete auf den Warnruf, der ihr Verschwinden gemeldet hätte. Als er nicht kam, schlich sie geduckt zu den Nivard-Kriegern hinüber, immer wieder innehaltend und lauschend - und immer wieder mit einem lautlosen Gebet der Gnädigen Göttin dankend, die offenbar ihre Hand schützend über sie hielt. Zu ihrer Verblüffung und gleichzeitig ihrer Erleichterung war der ältere der drei wach. Seine Augen weiteten sich fassungslos, als sie sich flach auf dem Boden aus dem Schatten heraus hinter ihn schob und sich an seinen Fesseln zu schaffen machte. Doch dann lag er vollkommen still, nur seine angespannte Haltung verriet, dass er nun seinerseits die Kjer-Wachen beobachtete. Ein paar Mal gab er ihr durch ein leises Zischen zu verstehen, dass sie sich nicht bewegen sollte, weil einer der Kjer gerade zu ihnen hersah. Doch schließlich war er frei. Auf ihr geflüstertes: »Wartet mit der Flucht, bis ich auch den Prinzen losgebunden habe! «, antwortete er mit einem kaum merklichen Nicken. Und während Lijanas sich in die Schwärze der Steilwand zurückschob, machte er sich daran, seine beiden Kameraden zu befreien.
Es war beinah verboten einfach, sich Ahmeer zu nähern. Der Felsen, an den er gefesselt war, warf im Feuerschein tiefe Schatten, die bis in die Dunkelheit reichten und ihr Schutz boten. Vorsichtig richtete sie sich hinter dem Steinblock auf, beugte sich ein wenig vor und berührte Ahmeer am Arm. Mit einem erschrockenen Grunzen fuhr er aus dem Schlaf auf Hastig ging Lijanas hinter dem Felsen in Deckung, traute sich mehrere Herzschläge nicht einmal zu atmen. Hatten die Schritte der Wachen tatsächlich gestockt? War da eben ein halblauter Wortwechsel gewesen? - Nach einem weiteren Moment wagte sie es wieder, sich ein wenig zu entspannen. Nein, sie musste sich geirrt haben. Rasch machte sie sich daran, seine Fesseln zu lösen. Als sie feststellte, dass die Riemen, die Ahmeer an den Felsen banden, nicht die gleichen waren, die auch seine Hände fesselten, hätte sie beinah geflucht. Nun gut, dann würde sie sich dieser Stricke eben annehmen, wenn sie das Lager der Kjer ein Stück hinter sich gelassen hatten. Kurz blickte sie zu den Nivard-Kriegern hin. Das dunkle Glänzen ihrer Augen verriet ihr, dass die Männer sie - oder zumindest Ahmeer - beobachteten. Lijanas reichte um den Felsen herum, berührte den Prinzen am Arm, damit er sich langsam um den Stein herum zu ihr schob, als unvermittelt unter den Nivard Unruhe entstand. Plötzlich sprang einer der drei auf und rannte in die Dunkelheit davon. Tumult brach los, sie fuhr herum - und sah sich Jerdt gegenüber, der sie mit einem Zähnefletschen, das wohl ein spöttisches Lächeln sein sollte, aus der Finsternis unter dem Felsen heraus beobachtete. Im nächsten Augenblick wurde sie von einem Kjer-Krieger gepackt, in den Schein der Feuer geschleppt, die eben von einigen Männern neu angefacht wurden, und auf die Knie gestoßen. Ein Arm wurde schmerzhaft auf ihren Rücken gedreht, eine Hand versenkte sich in ihrem Haar und zog ihren Kopf in den Nacken, sodass sie aufschauen musste. Jerdt gab seinen Krieger ein paar kurze Befehle, dann kam er gemessenen Schrittes zu ihr herüber, während Ahmeer wieder an den Felsen gebunden wurde, dieses Mal mit dem Gesicht zum Stein. Die behandschuhte Linke des hellen Kriegers schloss sich um ihre Kehle, zwang ihren Kopf brutal noch weiter in den Nacken. » Bedauerlich, dass du unberührt nach Turas gebracht werden musst, sonst würde ich dich zur Strafe meinen Männern überlassen, bis sie deiner überdrüssig sind.« Die Worte waren ein gefährliches Zischen. »Aber bestrafen werde ich dich, meine Liebe. – Zehn Schläge! « Seine Finger gruben sich schmerzhaft in ihren Hals, ihr entsetztes Keuchen entlockte ihm ein Lächeln. »Es wird dir noch leidtun, dass du den Nivard-Prinzen befreien wolltest. Das verspreche ich dir! « Er ließ sie los und trat zurück. »Doch zuallererst wirst du deinen Liebsten unter der Peitsche zucken sehen.« Mit vor Grauen weit aufgerissenen Augen beobachtete Lijanas, wie einer seiner Männer vortrat und ihm eine Peitsche reichen wollte. Eine kurze Geste Jerdts bedeutete ihm zu warten, da ein Krieger aus der Dunkelheit auf seinen Herrn zugehastet kam. Die Faust auf der Brust erstattete er rasch Bericht, erhielt einen knappen Befehl und verschwand daraufhin mit einigen anderen Kjer zwischen den Felsen.
Beinah gelangweilt wandte Haffrens zweiter Heerführer sich ihr
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