Der Kuss Des Kjer
zuvor. Dankbar nahm sie einen Schluck, griff nach einem Hühnchenstück und wollte eben davon abbeißen, als Mordans Finger sich um ihre schlossen. »Nicht! Wo habt Ihr das Messer, das ich Euch gegeben habe?« Er zwang sie, das Fleisch auf das Speisebrett zurückzulegen.
»Hier.« Sie stellte den Becher beiseite und zog es aus der Scheide.
» Benutzt das Messer zum Essen! Und nur das Messer! - Verstanden?« Rasch ließ er den Blick über die Männer gleiten. Verwirrt tat Lijanas es ihm nach - und begegnete Jerdts Augen. Hastig wandte sie sich Mordan wieder zu.
»Ich habe verstanden! Aber was ist daran so schlimm, mit den Fingern zu essen? - Ihr habt es an jenem Abend in Cavallin doch auch getan. «
»Das war etwas anderes. Da waren nur Männer anwesend, denen ich vertrauen konnte und die wussten ... « Er verstummte, fuhr sich mit der Hand durchs Haar. »Ihr werdet bemerkt haben, dass es ihnen nicht gefallen hat, mich mit den Fingern essen zu sehen. «
»Ja, aber ich verstehe nicht, warum?«
» Bei uns essen nur Unfreie mit den Fingern! - Ihr hättet Euch um ein Haar eben selbst vor aller Augen erniedrigt.«
Erschrocken sah sie ihn an.
»Es ist ja noch kein Schaden entstanden«, beruhigte er sie. »Nur denkt von nun an daran. Einzig Obst und Brot oder Gebäck dürft Ihr mit den Fingern essen. - Und wenn Ihr das Messer eine Zeit nicht braucht, stoßt es mit der Spitze in das Speisebrett.«
Langsam nickte Lijanas. »Warum müssen Unfreie mit den Fingern essen?«
Zwei Männer in knielangen Leinenhosen betraten gerade den Platz vor dem Feuer, schritten von beiden Seiten das Halbrund der Offiziere ab, zeigten ihre im Flammenschein glänzende Muskeln.
Mordan betrachtete sie kurz, ehe er Lijanas über ein Stück Käse hinweg ansah, das auf der Spitze seines Messers saß. »Ein Messer ist eine Waffe. Und einem Unfreien ist es verboten, eine Waffe anzurühren - geschweige denn eine zu besitzen. Erwischt man ihn trotzdem mit einer in der Hand, ist das sein Tod. «
»Das ist unmenschlich.« Sie konnte das Schaudern kaum unterdrücken.
»Es ist Gesetz! «
Lijanas blickte zur Seite. »Wird bei den Kjer alles so grausam bestraft?«, wagte sie dann zu fragen.
Seine Brauen zogen sich zusammen. »Wie meint Ihr das?« Eben traten die Männer vor die beiden Heerführer und schlugen die Faust gegen die bloße Brust. Eine nachlässige Geste Mordans und sie stellten sich in der Mitte des Platzes einander gegenüber auf, duckten sich - und gingen aufeinander los. Ein wilder Schrei ging durch die Zuschauer, als der erste Ringkampf begann. Nur der Mann an ihrer Seite schenkte ihm keine Aufmerksamkeit. »Wie meint Ihr das?«, wiederholte er.
»Wenn schon der Besitz eines Messers mit dem Tod bestraft wird -«
»Nur bei Unfreien.«
»Aber selbst Ihr als Heerführer müsst damit rechnen, hingerichtet zu werden, nur weil Ihr einen Befehl nicht ausführen konntet. « Hilflos schüttelte sie den Kopf. »Ich kann verstehen, dass man einem Dieb die Hand abschlägt - auch wenn ich es grausam finde -, einen Verräter zu brennen und zu verbannen ist ebenso recht, wie einen Mörder hinzurichten ... Aber bei den Kjer scheinen selbst auf Dinge, die man bei den Nivard mit einem Sühnegeld büßt, die Peitsche oder der Tod zu stehen.«
Mordan stieß das Messer in das Speisebrett und schaute zu den keuchenden Ringkämpfern hin. Eine lange Zeit schwieg er und Lijanas dachte, die Unterhaltung sei für ihn beendet, als er einen Apfel in die Hand nahm, sich auf den Ellbogen zurücklehnte und sie ansah.
»Lijanas, wie könnt Ihr urteilen, wenn Ihr unsere Gesetze gar nicht kennt? - Wir leben seit Hunderten von Wintern nach ihnen und niemand hat bisher ihre Richtigkeit angezweifelt.«
»Weil Ihr nichts anderes kennt. «
»Wir leben nicht hinter riesigen Mauern und haben keinen Kontakt zu anderen Völkern, Lijanas, aber unsere Gesetze sind nun einmal so und sie haben sich bewährt.
Bei uns gab es nie einen Bruderkrieg wie bei den Edari. Es wäre undenkbar, dass einer aufsteht und das Recht des Eiskatzenclans auf den Thron anzweifelt, wie es bei den Nivard schon geschehen ist.«
Sie starrte auf den rot glänzenden Apfel, den er in den Händen drehte. »Aber wie kann es richtig sein, einen Mann für etwas hinrichten zu lassen, wofür er gar nichts kann?«
»Ihr kommt davon nicht los, wie? - Lijanas, ich kenne die Regeln und ich lebe danach. Wenn ich versage, werde ich dafür bestraft und es ist das Recht meines Herrschers, über das Wie zu
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