Der Kuss Des Kjer
gehörten.
Sie ritten schnell, Jerdt und der Kessanan drängten voran. Mordan ließ ihnen ihren Willen, achtete aber stets darauf, dass Lijanas sich immer wieder ausruhen konnte, während die Pferde im Schritt gingen. In den ersten beiden Nächten schliefen sie unter freiem Himmel. Mordan sorgte dafür, dass sie es bequem hatte, ehe er seine eigenen Bettfelle neben ihren ausbreitete und sich niederlegte. Wache zu halten überließ er Jerdts Kriegern - und dennoch sah sie jedes Mal, wenn sie zu ihm hinblickte, sein Auge dunkel im Mondlicht glänzen. Und obwohl keiner der Männer Mordan zu nahe kam oder sich ihm gegenüber ungebührlich verhalten hätte, wurde sie das Gefühl nicht los, dass König Haffrens erster Heerführer eigentlich ein Gefangener war. Der Umstand, dass man sie nie allein mit ihm ließ, bestätigte sie nur noch mehr in ihrem Verdacht.
Am Abend des dritten Tages erreichten sie ein kleines Dorf, und Jerdt machte das größte Haus des Ortes, ohne zu zögern, zu ihrem Quartier. Als sie eintrat, stellte Lijanas fest, dass die Familie des Besitzers in einer Ecke der Stube zusammengedrängt worden war und nun ängstlich herübersah; die Hausfrau zog ihre beiden Söhne an sich, um sie vor den Augen der Männer zu verbergen. Ihr entging das Entsetzen in den Gesichtern nicht, als zuerst Jerdt und schließlich Mordan den Raum betraten.
Haffrens zweiter Heerführer scheuchte die Frau in hartem Ton davon - in die Küche, wie Lijanas vermutete, damit sie für sie ein Nachtmahl bereitete. Dann stieg er die Treppe in den oberen Stock des Hauses hinauf, begutachtete die Zimmer und wies ihr schließlich einen kleinen Raum am Ende des Ganges zu. Rasch wurde eine der Töchter der Familie geschickt, um die strohgefüllte Matratze aufzuklopfen und mit sauberem Leinen zu beziehen. Lijanas' freundliches Lächeln wurde mit einem zaghaften Blick und einer tiefen Verbeugung beantwortet, dann huschte das Mädchen hinaus. Still kauerte sie sich dann auf dem Bett zusammen. Unten in der Stube hörte sie die Krieger lärmen, nebenan erklangen Schritte. Ein gleichmäßiges Hin und Her. Lijanas setzte sich auf, lauschte. War das Mordan? Leise trat sie an die weiß gekalkte Wand und legte die Handflächen dagegen. Dann näherten sich Stimmen im Gang und die Schritte stockten. Lijanas hastete auf das Bett zurück, gab sich harmlos, als sich die Tür öffnete. Nach einer tiefen Verbeugung betrat die Hausfrau mit einem Speisebrett, beladen mit dampfendem Fleisch und Gemüse, den Raum. Ohne Lijanas anzuschauen, stellte sie alles auf den Tisch in der Nähe des gemauerten Kamins und wandte sich zum Gehen. Sie erstarrte, als sie Mordan in der Tür gewahrte. Mit einer ungeduldigen Geste schickte der sie hinaus, ließ wachsam den Blick durch das Zimmer wandern, schaute schließlich Lijanas an. Ast alles zu Eurer Zufriedenheit, Heilerin? Habt Ihr alles, was Ihr für die Nacht braucht?«, erkundigte er sich. Hinter ihm bemerkte sie Jerdt, der sie sichtlich verärgert ansah. Sie begriff erst, was er mit seiner Frage bezweckte, als sie den Schlüssel in seiner Hand entdeckte. Er würde sie während der Nacht hier einschließen - und Jerdt war darüber nicht erfreut.
»Ja, ich habe alles! Danke!«
Er nickte langsam. »Wenn etwas ist: schreit! Ich bin nebenan. - Ich wünsche Euch eine angenehme Nacht, Lijanas. Bis morgen früh. «
Die Tür schloss sich, sie hörte den Schlüssel knirschen. Erst nach einem Augenblick ließ sie sich auf die Matratze sinken. Hatte sie zu Anfang ihrer Entführung geglaubt, in einem Albtraum gefangen zu sein, so war es jetzt schier unerträglich. Der Gedanke, dass der Mann, der sie sogar vor Seelenfressern beschützt hatte, sie vielleicht nicht mehr vor Jerdt und dem Kessanan beschützen konnte, machte ihr Angst.
Die nächsten Tage folgten stets dem gleichen Muster. Sie ritten bis spät in die Nacht, machten schließlich in einem Dorf halt und Jerdt beschlagnahmte das schönste Haus des Ortes. Er bestimmte, in welchem Raum Lijanas die Nacht verbringen würde.
Mordan beanspruchte das Zimmer daneben für sich. Ihr wurde ein Nachtmahl gebracht, und nachdem er sich vergewissert hatte, dass sie alles Nötige hatte, schloss ihr Kjer sie ein. Am Morgen war er es, der die Tür wieder öffnete und sie weckte. Man brachte ihr Frühstück und wenig später saß sie abermals auf dem Pferderücken und ritt in Richtung Turas.
Am Nachmittag des sechsten Tages erreichten sie endlich die Hauptstadt Telmáhrs.
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