Der Kuss Des Kjer
Heilerin?« Sie konnte nur benommen nicken.
»Sehr gut! « Er stieß sie rücklings ins Gras und ließ die eisernen Ringe um ihre Knöchel zuschnappen. »Ihr bleibt hier bei Levan! Sorgt dafür, dass er möglichst viel trinkt - was Ihr auch tun solltet. Ich bringe Euch später noch mehr Wasser. Wenn Ihr etwas braucht, ruft, aber wagt es nicht, Euch vom Fleck zu rühren! Verstanden?«
Wieder konnte Lijanas nur nicken. Mordan stand auf und ging.
Als die Sonne sank, wurde Levans Bahre wieder zwischen den Pferden festgemacht, Mordan half Lijanas auf Ireds Rücken und sie brachen auf. Beinah hatte man den Eindruck, als seien die Ashentai-Rösser froh, ihre schmierige Maskerade los zu sein.
Selbst Brachans ruhiger Wallach tänzelte mit unverkennbarem Übermut, schüttelte seine goldfarbene Mähne und setzte die Hufe, als befände er sich in einer Parade. Nur Ired wurde wie stets mit Kandare, kurzen Zügeln und Sporen zur Ruhe gezwungen.
Am Ende von Darachnars Tal erwartete sie noch immer das weiße Gleißen - die Salzwüste. Je näher sie ihr kamen, umso mehr wurde ihr Einfluss auch auf den fruchtbaren Boden des Tals sichtbar. Das Grün wurde spärlicher, die Farben der Blumen leuchteten weniger kraftvoll, die Erde war an manchen Stellen schon weiß bedeckt und starb. Die wenigen Bäume, die dem Salz noch trotzten, trugen auf der Wüstenseite eine glitzernde Kruste, Blütenblätter und Grashalme waren wie mit salzigem Reif überzogen. Als sie schließlich die Mondtürme passierten, hatte sich der Boden unter den Hufen der Pferde endgültig in gleißendes Salz verwandelt.
Obwohl die Sonne schon tief stand und alles mit kupfernem Feuer überzog, trieb die Hitze ihnen immer noch binnen kürzester Zeit den Schweiß aus allen Poren und ließ Schaum vom Fell der Ashentai flocken. Dennoch legten die Kjer die langen Reitmäntel nicht ab, sondern zogen im Gegenteil die Kapuzen tief in die Gesichter. Mordan hatte Lijanas seinen Umhang überlassen und sich stattdessen ein Tuch um den Kopf geschlungen und dessen freies Ende so festgesteckt, dass es Mund und Nase verbarg.
Auch Levans Decken waren so weit über ihn gezogen, dass sie sein Gesicht vor den brennenden Strahlen schützten.
Auf ihrer rechten Seite erhoben sich in einigen Hundert Schritt Entfernung drohend graue, schroff aufragende Felsen, von weiß funkelnden Adern durchzogen, gegen den Himmel - die Salzzinnen. Hinter ihnen war der Eingang zu Darachnars Tal in dem Flimmern, das über allem lag, kaum noch auszumachen. Daneben glänzten die Hänge der Weißen Sichel. Nicht der kleinste Luftzug regte sich, trotzdem schmeckte Lijanas schon nach kurzer Zeit Salz auf der Zunge. Sie wusste, dass es sinnlos war, Mordan um Wasser zu bitten. Als sie aufgebrochen waren, hatte er ihr erklärt, dass sie es einteilen mussten. Jedem der Krieger standen alle zwei Stunden zwei Schluck Wasser zu; sie und Levan würden vier bekommen. Sollte es dem jungen Mann unterwegs irgendwann schlechter gehen und er mehr Wasser brauchen, wollte Mordan das sofort erfahren.
Als sie das erste Mal haltmachten, versank die Sonne gerade hinter dem weißen Horizont und tauchte das Salz in ein Farbenspiel aus Feuer und Gold. Unter Mordans wachsamem Blick trank Lijanas langsam ihren Anteil. Dann gab sie ihm den Wasserschlauch zurück, damit er selbst trinken konnte. Doch er ging zuerst hinüber zu Levan und gab ihm Wasser, ehe er die ihm zustehenden zwei Schlucke nahm.
Danach tränkte er Ired, verschloss den Lederbalg, hängte ihn an den Sattel und saß wieder hinter Lijanas auf.
Als die Sonne endgültig verschwunden war, kroch nach und nach die Kälte über den Boden. Zuerst fiel es Lijanas nicht auf, doch dann bemerkte sie die weißen Dampfwolken, die von den Nüstern der Pferde aufstiegen und die bei jedem ihrer eigenen Atemzüge auch vor ihren Lippen erschienen. In einem Anflug von schlechtem Gewissen blickte sie kurz über die Schulter. Hinter dem Tuch verborgen lagen Mordans Züge in tiefem Schatten. Er beachtete sie gar nicht. Gut! Lijanas zog den Umhang enger um sich und schmiegte sich in die Wärme. Wenn er fror, sollte er sie um den Mantel bitten.
Seit es dunkel war, führte immer einer der Krieger sein Pferd am Zügel und ging voraus, um die anderen rechtzeitig vor Spalten und Rissen im Boden zu warnen.
Unter dem Licht der beiden bereits aufgegangenen Monde hatte die Salzwüste sich in eine perlenglänzende Ebene verwandelt, die sich vor ihnen bis in die Unendlichkeit zu erstrecken schien.
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