Der Kuss Des Kjer
eigensüchtig! Sie haben weder Respekt noch Vertrauen verdient. Ein paar Mal holte er tief Atem, während er mit der Hand über die Steine der Zinnen rieb. Die Heilerin ist anders! Nicht dumm und geistlos wie diese hirnlosen Schönheiten an Haffrens Hof oder intrigant und verschlagen, wie es Kyrisa war. Bei dem Gedanken an seine ehemalige Braut verkrampften sich seine Finger für einen Herzschlag zu Klauen. Sie ist intelligent und auf ihre Art stark; voll Feuer, zugleich auch sanftmütig und ruhig - wenn sie mich nicht gerade anzetert ... Warum versucht sie nicht, um meine Gunst zu buhlen, wie Vajna es jedes Mal tut, wenn ich sie in mein Zelt befehle? Sie sollte darauf bedacht sein, sich bei mir einzuschmeicheln, damit ich sie gut behandle, immerhin ist sie eine Gefangene. - Doch anstatt sich meinem Willen zu beugen und sich in ihr Schicksal zu fügen, reckt sie starrsinnig das Kinn, faucht mich mit funkelnden Augen an und zeigt mir die Krallen. Kurz kräuselte sich ein Lächeln in seinem Mundwinkel. Vermutlich hat sie den Gedanken an Flucht noch immer nicht aufgegeben. - Nein! Sie wird nicht davonlaufen. Nicht jetzt. Sie würde die Kranken nicht alleinlassen. Langsam schüttelte er den Kopf. Selbst wenn die Tore von Cavallin weit offen stünden, würde sie bleiben. Aber was sein wird, wenn das hier vorbei ist ... ? Der Gedanke, sie wieder wie eine Gefangene behandeln zu müssen, widerstrebte ihm erstaunlicherweise. Ihr unbeugsamer Wille, der sie trotz aller Hoffnungslosigkeit weitermachen, der sie nach wie vor um die Kranken kämpfen ließ, nötigte ihm Respekt ab. Wer hätte gedacht, dass ich jemals so von einer Frau denken könnte - vielleicht, weil sie auf ihre Art eine Kriegerin ist? Heftig stieß er sich von der Mauer ab und stand auf. Was waren das für verrückte Gedanken?! Er trat an die mächtige Feuerschale, die auf schweren Steinfüßen in etwa einem Schritt Höhe über der Turmplattform ruhte, und legte die Handflächen gegen das warme Metall.
Empfinde ich für diese Frau etwas? Finde ich deshalb keine Ruhe mehr, wenn ich neben ihr liege? Die Kiefer so fest zusammengepresst, dass es schmerzte, spannte er die Armmuskeln an, bis sie zitterten. Das ist Wahnsinn! Sie ist eine Nivard! Bei allen Rachegeistern! Sie ist meine Gefangene! Wahrscheinlich würde sie mir ins Gesicht spucken, wenn ich ... - Nein! Es ist Wahnsinn!
Die Kopfschmerzen kamen einige Stunden vor dem Morgen. Und obwohl sie nicht so schlimm waren wie bei dem Anfall vor ein paar Tagen, mühte Lijanas sich aus dem Bett und zu ihrem Arzneikasten hinüber. Die Phiole mit dem Fuchsmilchkraut-Öl lag noch immer ganz zuoberst. Mit zitternden Fingern strich sie sich einige Tropfen der schillernden Flüssigkeit auf Stirn und Schläfen, wankte zum Bett zurück und kroch schwach unter die Decke. Mordan war noch nicht zurück.
Wie jeden Morgen war Mordan schon rasiert und gewaschen, als er sie weckte.
Ganz offensichtlich vermied er es, die Lederklappe vor ihren Augen abzunehmen.
Inzwischen fragte sie sich, was für einen grausigen Anblick er wohl darunter verbergen mochte. Die Kopfschmerzen der vergangenen Nacht waren nur noch eine böse Erinnerung.
Je weiter der Tag voranschritt, umso dankbarer war sie, dass es den dunklen Krieger gab. Ohne sie um ihr Einverständnis zu bitten, hatte er das Kommando über die Männer übernommen, die im Seuchenhaus als Pfleger arbeiteten. Wo immer er konnte, nahm er ihr Arbeiten ab, die zuvor zu Terodhs Aufgaben gehört hatten.
Schließlich erklärte sie ihm, wie die Krankenlisten zu führen waren, und zeigte ihm, wie die schmerzlindernde Medizin zubereitet wurde, die den Kranken die letzten Stunden erleichterte.
Es war noch nicht Mittag, als Peider den dunklen Krieger zum Tor des Speicherhofes rief. Kurze Zeit später kam er bleich im Gesicht zu Lijanas gehastet. »Sie verhaften Euren Gemahl! «, stieß er atemlos hervor, kaum, dass er vor ihr stand. In einer Mischung aus Unglauben und Entsetzen blickte sie ihn an, dann eilte sie selbst zum Tor. Als sie auf die Treppe hinaustrat, waren die Wachen gerade dabei, Mordans Hände zu fesseln.
»Was geht hier vor?« Es erstaunte sie selbst, wie fest ihre Stim, nie klang.
Ein Mann mittleren Alters, dessen rotbraunes Haar sich an der Stirn schon lichtete, wandte sich ihr zu.
»Wer seid Ihr, Frau?«
»Ich bin Lijanas, die verantwortliche Heilerin! Und wer seid Ihr?«
»Hauptmann Uladh!« Er deutete eine höfliche Verbeugung an. »Wir nehmen diesen Mann in Haft,
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