Der Kuss des Lustdämons
und mich mit dem zweiten Spieler an der Konsole. Solange ich das Pult in der Hand habe, tut der Inkubus genau das, was ich will. Tja, nur leider ist mein Bedienungspult während des Spiels kaputt gegangen, da ich aus der Leitung gekickt wurde. Und somit hat der Computer wieder übernommen. Sie spielt nun allein mit dem Dämon, dessen Aktionen und Reaktionen vorprogrammiert sind. Wir sind zwar auch jetzt noch verbunden, aber ich kann ihm ohne das Pult – was in diesem Fall die Verbindung zur Hypnoseebene der Kundin ist –, nichts befehlen.“
„Was wird mit ihr passieren?“ Der Wolf schien Missy verschlingen zu wollen.
„Sobald sie einschläft, wird sie in erotische Träume verfallen. Der Dämon wird das tun, wofür er geschaffen wurde. Er wird ihr die Energie ihrer Lust stehlen. Ihr tägliches Leben wird kaum von dem Traum berührt. Aber dadurch, dass sie Tag und Nacht nicht zur Ruhe kommen kann, wird sie mit der Zeit immer schwächer werden. Und wenn sie keine Möglichkeit findet, sich mit neuer Kraft zu erfüllen, wird ihr Herz stehen bleiben.“
„Das ist doch ein klassischer Burn-out! Das wird gar nicht auffallen.“
„ Sie wissen es.“
„Was?“ Missy zog eine Augenbraue hoch.
Jade wandte sich ihr zu. „Du glaubst doch wohl selbst nicht, dass ich ohne Bericht davonkomme. Vom Alarm durch die unterbrochene Leitung ganz zu schweigen. Du weißt genauso gut wie ich, dass wir hier am Gehirn von Menschen herumpfuschen. Wenn das öffentlich wird, sind wir alle dran. Aber noch viel schlimmer als die öffentliche Bloßstellung wäre der Entzug für gewisse Leute hier. Diese verfluchten Junkies!“ Jade gestikulierte wild.
„Junkies? Wie ...“ Missy runzelte die Stirn.
„Jade, melde dich bitte sofort in der Chefetage. Code 777“, ertönte eine weibliche Computerstimme.
Beide richteten ihre Blicke zu den Lautsprechern über der Stahltür.
„Na bitte, was habe ich gesagt? Auf die da oben kann man sich immer verlassen.“ Jade seufzte.
„Was ist denn Code 777?“ Missy fühlte sie auf einmal total fremd in der Firma. Es gab noch genug, was sie vermutlich nie erfahren würde.
„Das heißt übersetzt: Melde dich sofort beim Alten, oder morgen gibt’s Gehacktes in der Kantine.“ Er lachte bitter auf.
Missy erhob sich langsam und trat näher. Ihre Stilettostiefel klackerten auf dem Steinboden.
„Dein Vater?“
Jades Augen wurden zu schwarzen Löchern. „Mein Vater ist tot.“
Missy schluckte trocken.
Seine Stimme war ein dumpfes Grollen, das einem nahenden Gewitter glich. Nur ein Wort mehr und der Blitz würde einschlagen. „Wer auch immer die Mumie ist, die da oben sitzt, das ist nicht mein Vater.“ Er riss sein Hemd vom Stuhl und schob sich unwirsch an ihr vorbei.
Es krachte. Missy drehte sich nach hinten. Die Stuhllehne war gegen das Schaltpult gestoßen.
Das kann ja noch heiter werden , dachte sie.
Es herrschte Grabesdunkel und es war so kalt, dass man mit seinem Atem Eisblumen hätte malen können. Nur eine Stehlampe mit Korbschirm erhellte den Umkreis. Inmitten des Nichts saß er. Tiefe Furchen durchzogen sein bleiches Gesicht. Seine langen Haare und der Bart waren weiß. Mit Bergkristallaugen starrte er auf die Unterlagen, die auf dem wuchtigen Schreibtisch lagen. Ein „Richter“, der stets wie der Vorsitzende in einem Mordprozess wirkte. Anscheinend hatte „die Mumie“, wie Jade dieses Wesen für sich bezeichnete, kein anderes Kleidungsstück als diese schwarze Robe, die ihre Hellhäutigkeit noch hervorhob. Auch hatte Jade ihn nie beim Verlassen der Firma beobachtet, gerade so, als könne er nur in diesen Räumen existieren.
„Komm näher.“ Richard Rosenbaums Stimme hatte einen jugendlichen Klang, obwohl er äußerlich den Zenit seines sechzigsten Geburtstages schon längst überschritten zu haben schien. Jade hatte ihn niemals gefragt wie alt er wirklich war. Es wurden auch nie Familienfeste veranstaltet. Meist herrschte nur Schweigen in der Familie. Der Alte blickte nicht von seiner Arbeit auf, erhob die Hand und winkte seinen Sohn zu sich.
„Du hast ihn also verloren?“ Eine emotionslose Feststellung. Bläuliches Licht spiegelte sich auf den Unterlagen.
„Was erwartest du von mir?“ Jade hasste diese Treffen. Sie endeten immer in Vorwürfen. Hoffentlich war es schnell vorbei.
„Es war so eine einfache Aufgabe! Warum enttäuschst du mich immer wieder?“
„Kann ich jetzt gehen, um Schlimmeres zu verhindern?“ Jade war genervt. Warum sollte
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