Der Kuss des Lustdämons
Duft ein, schloss ihre Augen, legte den Kopf in den Nacken und lockerte ihre Schultern. Ein belebendes Gefühl durchströmte ihre Muskeln. Sie fühlte den Hunger nach Vergeltung, den Hunger nach purer Lust. Doch sie wusste, er würde ihr nicht geben, was ihren Appetit stillen konnte. Vielmehr würde sie selbst die Mahlzeit sein.
„Ihr wisst es noch nicht, doch Ihr werdet immer mir gehören“, flüsterte er. „Selbst wenn dieser Traum zu Ende ist.“
Jade hatte sich in den Meditationsraum zurückgezogen. Die Wände waren schwarz und simulierten einen unendlichen Raum. Nur in kompletter Nacktheit konnte er das Ritual vollziehen. Nichts durfte ihn ablenken oder seine Aufmerksamkeit auf sich ziehen.
Im Schneidersitz saß er in der Mitte und hatte die Hände in den Schoß gelegt. Um ihn herum waren kreisförmig Kuhlen eingelassen, in denen Öl brannte. Direkt vor ihm befand sich ein Spiegel mit einem goldverzierten Rahmen. Räucherwerk brannte auf Kohlestücken und erfüllte den Raum mit Sandelholzduft. Jade fixierte sein Spiegelbild.
Je länger er sich betrachtete, desto mehr verschwamm das Bild um ihn herum, nur seine Augen blieben klar. In Gedanken formte er das Antlitz seines Dämonen. Langsam ließ er sein Gesicht sinken. Es wurde dunkel um ihn. Er zog die Luft tief durch die Nase ein, hielt einen Moment inne und atmete wieder aus. Zeitgleich begann sein Oberkörper hin und her zu pendeln. Aufkommende Schwere floss zu seinem Rücken hinaus und formte Schwingen aus Luft. Er spürte den Boden unter sich nicht mehr und glitt hinüber in ein Schweben. Die Pigmente seiner Tattoos erstrahlten und umrahmten ihn mit Licht. Blitze zuckten durch den Schein. Mit einem Laut, der wie unzählige schreiende Stimmen klang, rief er seinen Dämon.
„Ihr habt gerufen, Herr?“
Jade hob den Blick. Alessandros Schatten kniete vor ihm im Spiegel. Er hielt den Kopf gesenkt.
„Alessandro! Ich wünsche, dass du den Traum dieser Frau verlässt.“
„Es tut mir leid, mein Herr, aber ich werde mich Eurem Wunsch nicht beugen.“ Ruhe lag in seiner Stimme.
„Ich wünsche keinerlei Diskussion. Kehre zurück, Dämon.“ In Jades Blick lag ein gefährliches Funkeln.
„Ich schätze Euch sehr, mein Herr. Doch ist in mir ein Verlangen erwachsen, das mir befiehlt hier zu verweilen“, sagte der Dämon ohne aufzublicken.
„Du wagst es, dich gegen mich zu stellen?“ Jades Aura flammte auf.
„Ich werde nicht weichen, mein Herr!“
Diese verfluchte Gleichgültigkeit!
„Dieser Traum wird bald zu Staub zerfallen und du mit ihm.“
Ein sinnloser Hinweis.
„Dann sei es so!“
Wut wallte durch Jades Innerstes. Wie konnte er sich ihm widersetzen?
„Sie wird sterben, wenn du sie nicht gehen lässt“, sagte er fast beschwörend.
„Mein Herr, Ihr solltet nicht denken, dass ich nicht wüsste, wovor Ihr Euch fürchtet. Wenn ich dem Nichts entgegenschreite, werdet Ihr ebenso fallen. Ich wandelte einst im selben Tal wie die Verirrten. Mich schreckt die Finsternis nicht. So müsst auch Ihr sie nicht fürchten.“
Jade bekam ein mulmiges Gefühl. Warum nahm der Dämon es in Kauf, vernichtet zu werden?
„Mein Vergehen wäre nur einen Atemzug lang, bis der nächste Ruf mich ereilt und mir einen neuen Namen gibt“, antwortete er, als hätte er Jades Gedanken gelesen.
„Du wurdest für eine bestimmte Aufgabe erschaffen. Ich kann nicht zulassen, dass du dich gegen deine Bestimmung stellst.“ Jade klang, als glaube er selbst nicht wirklich daran.
„Was wisst Ihr schon von meiner Bestimmung, mein Herr? Ihr habt mir eine Gestalt gegeben, doch ich war schon immer da. Die Dunkelheit braucht keine Form, um zu existieren.“ Alessandro erhob seinen Blick und sein Angesicht wurde klar. „Mein Herr, Ihr müsstet es doch wissen. Wer einmal von der Macht kostet, der wird sie nicht missen wollen.“
Ein diabolisches Lächeln leuchtete ihm entgegen. Jade versuchte, die Haltung zu wahren. Doch er hatte das Gefühl, dass ihm jemand an der Gurgel packte.
„Wenn Worte dir nicht genügen, dann werde ich einen anderen Weg finden. Du weißt, ich kann dich nicht ziehen lassen, ohne mich selbst dabei zu verlieren.“
„Das Schicksal wird uns führen, mein Herr. Aber erwartet nicht, dass ich mich kampflos Eurem Willen beuge. Dies wird vielleicht die letzte Prüfung sein, die Ihr bestehen müsst.“
„Prüfung? Welche Prüfung?“
„Das werdet Ihr schon sehr bald erfahren.“
„Du redest schon wie mein Vater!“
Alessandro
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