DER KUSS DES MAGIERS
zu verzichten konnten sich die Veranstalter gar nicht leisten. Der Manager hatte garantiert das Blaue vom Himmel gelogen, um einen Skandal und schlechte Publicity zu vermeiden.
„Aber musst du heute Abend nicht arbeiten?“, wandte ihre Mutter ein.
Sina jubelte innerlich. Ihre Mom hatte nicht Nein gesagt. „Ich kann bestimmt mit Jenny tauschen“, erwiderte sie schnell. „Einverstanden? Komm, sag Ja! Wir haben es uns beide verdient.“
Je länger sie darüber nachdachte, desto brillanter fand Sina die Idee. Statt aufwendig LeNormands Adresse herauszubekommen, würde sie ihn heute noch wiedersehen und konnte ihn dann alles fragen, was sie auf dem Herzen hatte. Außerdem würde sie Lugo für anderthalb Tage nicht sehen, sodass sie Zeit gewann, bevor sie ihm sagen musste, dass sie ihr Stipendium in Idaho natürlich nach wie vor annehmen wollte. Perfekt.
Offenbar hatte Louisa ganze Arbeit geleistet, denn ihre Mom schien wirklich kurz davor zu sein zuzustimmen. „Aber sind die Karten nicht furchtbar teuer?“, fragte sie.
„Nur die ganz vorne. Mach dir keine Gedanken, darum kümmere ich mich schon. Du musst nur das Auto volltanken.“
Ihre Mutter atmete tief durch. Es kam wirklich ganz selten vor, dass sie sich irgendetwas außer der Reihe leisteten. Sonst macht das Leben ja keinen Spaß mehr , pflegte ihre Mom dann zu sagen. Jetzt schien einer dieser Momente zu sein. „Na gut. Aber das Motel darf nicht mehr als 30 Dollar die Nacht kosten, okay?“
„Klar. Mach dir keine Sorgen, ich nehme von allem das Billigste. Und natürlich ziehst du heute das Seidenkleid an!“ Sina stand auf und umarmte ihre Mutter. Sie freute sich riesig, weil ihre Mom auch etwas unternehmen würde, was ihr Spaß machte – auch wenn Sina noch andere Gründe für die Reise nach Modesto hatte.
Die nächste Stunde lang telefonierte sie. Zuerst rief sie ihre Kollegin Jenny an, die sofort bereit war, Sinas Schicht zu übernehmen. Denn Jenny sparte auf ein eigenes Auto und hätte fast rund um die Uhr gearbeitet, um schneller zum Ziel zu kommen.
Danach bestellte Sina beim Ticketservice, dessen Telefonnummer sie im Internet recherchiert hatte, zwei Karten und ließ sie an der Abendkasse hinterlegen. Es gab nur noch welche in der mittleren Kategorie – für fast dieselbe Reihe, in der Sina am vergangenen Abend gesessen hatte –, aber auf die zwanzig Dollar Unterschied kam es nun auch nicht mehr an. Dafür hatte das dritte Motel, bei dem sie anrief, eine Sonderaktion und bot ein Doppelzimmer für nur 25 Dollar pro Nacht an.
Zufrieden faltete Sina den großen Zettel zusammen, auf dem sie alle Reservierungsnummern und Adressen notiert hatte, und ging zu ihrer Mutter.
„Alles erledigt, wir können los“, berichtete sie ihr strahlend.
„Was? Modesto liegt doch nur 70 Meilen von hier entfernt. Da brauchen wir maximal zwei Stunden. Die Vorstellung fängt doch erst um acht an, oder?“
„Ja, aber wenn wir sowieso schon mal unterwegs sind, können wir doch einen richtigen Ausflug daraus machen, oder? Wir halten einfach überall an, wo’s uns gefällt, trinken irgendwo Kaffee, gehen bummeln …“
Ihre Mutter hob die Hände. „Schon gut, schon gut. Überredet. Aber packen müssen wir ja schon noch schnell, oder bist du damit auch schon fertig?“
Richtig. Sina hatte es auf einmal so eilig, aus dem Haus zu kommen, dass sie ganz vergessen hatte, dass sie über Nacht blieben. Ohne Zeit zu verlieren, lief sie in ihr Zimmer und zog die Reisetasche aus dem obersten Schrankfach – dabei fielen ihr die Geldbündel vor die Füße. Bei dem Gedanken daran, das Geld im Haus zu lassen, wenn niemand da war, wurde Sina unwohl. Kurz entschlossen packte sie die Bündel in das Innenfach ihrer Tasche und zog den Reißverschluss zu. Anschließend warf sie ein T-Shirt für Sonntag früh hinein. Ihr dunkelblaues Wickelkleid aus Jerseystoff rollte sie zusammen und legte es obendrauf, dazu packte sie halbhohe Riemchensandalen ein. Das Outfit war natürlich nicht so elegant wie das Seidenkleid, aber Sina würde auch damit zufrieden sein.
Sie hatte gerade ihre Zahnbürste und Kosmetika aus dem Bad geholt, als das Telefon klingelte.
Verflixt, das hatte sie vermeiden wollen. Wenn jetzt jemand anrief und ihre Mom darauf ansprach, dass Sina beinah jemanden erschossen hätte …
„Ist für dich“, rief ihre Mutter aus der Küche. „Lugo“, fügte sie leiser hinzu, als sie Sina das Telefon hinhielt.
Sina seufzte. Am liebsten wäre sie einfach losgefahren,
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