DER KUSS DES MAGIERS
schnell sein, Beloved. Zögere nicht. Es ist alles gut, das verspreche ich dir. Aber tu es diesmal, bitte. Tu es!“
Panik überkam sie. Was sollte sie tun? Was wollte er von ihr? Wieso erklärte er ihr nicht einfach, was hier eigentlich vor sich ging?
„Aber was …“, stieß sie hervor, doch dann blieben ihr die Worte im Halse stecken.
Etwas bewegte sich, was sich nicht bewegen sollte. Es sah aus, als ob Schlangen über seine Brust und seine Arme krochen – aber unter seiner Haut. Sie wanden sich langsam in Richtung Kopf, und er verzerrte das Gesicht vor Schmerz oder Anstrengung oder …
Wie erstarrt blieb sie stehen, konnte sich einfach nicht rühren. Der Glasdolch fiel ihr aus der Hand.
„Tu es“, flüsterte er, dann konnte er nicht mehr sprechen, denn die Schlangen hatten seinen Hals erreicht, sein Kinn.
Und dann veränderte sich sein Gesicht, wurde neu geformt, zeigte etwas, das Sina nie wieder sehen wollte und doch nie vergessen würde.
Sie schrie. Und rannte.
Sina wachte auf und rang nach Atem. Nach ein paar Sekunden der Panik wurde ihr klar, dass sie in ihr Kissen biss. Sie riss sich los. Im Traum musste sie geschrien und instinktiv den Kopf ins Kissen gedrückt haben, um ihre Mom nicht zu wecken.
Sie drehte sich auf den Rücken und starrte schwer atmend zur Decke. Was für ein Albtraum! Die schreckliche, tote Gegend, und dieses entsetzliche Etwas, in das LeNormand sich verwandelt hatte … In ihren früheren Träumen hatte sie immer nur sein Gesicht gesehen, seine golden funkelnden Augen, nie eine Landschaft oder Details wie heute. Alles hatte so real gewirkt, so bedrohlich …
Hastig richtete sie sich auf und knipste die Nachttischlampe an, um die Schatten im Zimmer zu vertreiben. Ihr Wecker zeigte halb vier Uhr an.
Sie lauschte nervös nach nebenan, zum Zimmer ihrer Mutter, doch dort rührte sich nichts. Gut. Heute war Samstag, und am Wochenende konnte sogar ihre Mom ausschlafen. Normalerweise stand sie dann nicht vor neun auf, und auch Sina schlief am Wochenende gern länger.
Doch daran war jetzt nicht mehr zu denken. Sie hatte Angst, dass sie den ganzen Traum noch einmal durchleben würde, wenn sie die Augen schloss. Dass sie noch einmal sehen musste, wie Schlangen unter LeNormands Haut entlangkrochen und sein Gesicht in etwas Grauenhaftes verwandelten …
Sina schüttelte sich und wischte sich mit dem Arm über die Augen. Ihre Wangen waren nass von Schweiß und Tränen. Das war die einzige Ähnlichkeit zu ihrem sonstigen Traum – sie hatte wieder das Gefühl, LeNormand im Stich gelassen zu haben.
Im Schein der Nachttischlampe ging sie zum Schreibtisch und schaltete den Laptop ein. Der schreckliche Anblick verfolgte sie noch immer, auch wenn sie wusste, dass das alles nur ein Albtraum gewesen war. Sina wollte sich einfach die Videos von seinem Auftritt so lange anschauen, bis die grauenvolle Fratze von der Realität überschrieben war.
Bevor sie das erste Video aufrief, klickte sie ohne große Erwartung auf „Neueste Videos“ – und zuckte zusammen, als sie dort einen Neueintrag unter der Überschrift „Zaubershow schiefgelaufen“ fand. „Nicht so magischer Moment: Beinahetod bei Russisch-Roulette-Nummer“ stand in der Beschreibung. Hochgeladen vor ein paar Stunden. Unglaublich, es hatte tatsächlich jemand die Show mitgeschnitten.
Sina holte tief Luft und klickte auf „Play“. Zu ihrer Überraschung begann das Video in dem Moment, als LeNormand eine Assistentin aus dem Publikum auf die Bühne bat und der Scheinwerferkegel über die Sitzreihen wanderte.
Die Kamera hatte sich jedoch hinter Sina befunden, sodass sie nur von hinten gefilmt worden war, bevor sie die Bühne betreten hatte. Was vielleicht auch gut so war, denn Sina fand es so schon schlimm genug. Ihr „Auftritt“ stand also jetzt im Internet, für jedermann aufzurufen. Auch für ihre Mom. Nicht dass sie regelmäßig bei YouTube Videos anschaute, aber Payton war auch nicht gerade eine Großstadt. Irgendwann würde jemand den Film entdecken, es würde sich herumsprechen, und ihre Mom würde garantiert davon erfahren.
Trotzdem. Jetzt kann ich wenigstens sehen, was wirklich auf der Bühne geschehen ist, dachte Sina. Wie viel ich mir eingebildet habe. Ob ich wirklich auf der Lichtung gewesen bin. Ob LeNormand mich wirklich geküsst hat …
Bei dem Gedanken an den stürmischen Kuss wurde ihr wieder heiß. Weil sie sich noch nie so erlebt hatte – und weil sie wegen Lugo ein schlechtes Gewissen hatte. Doch Sina
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