DER KUSS DES MAGIERS
„Wo hast du mich hingebracht … und vor allem wie?“
Sie war ein Fan von Zauberei und hatte auch keine Folge der Enthüllungsserie des „Maskierten Magiers“ verpasst, in der die Tricks seiner Kollegen verraten wurden. Dass jemand anderes als der Magier selbst, noch dazu jemand Uneingeweihtes, an einen völlig anderen Ort versetzt wurde, erschien ihr auch mit diesem Wissen technisch unmöglich. Die nächste Waldlichtung, auf der sie gewesen waren, mochte Hunderte von Kilometern entfernt sein. Und wenn LeNormand sie hypnotisiert und geschickt manipuliert hatte, konnte sie ja wohl kaum Moosflecken an den Füßen haben.
Und die seltsame Vision, die sie dort gehabt hatte. Warum war LeNormand damals bei ihr gewesen, am Tag, bevor ihr Vater verschwunden war? Wieso hatte er sie seitdem gesucht?
Sina setzte sich gerade hin. Es gab nur eine Möglichkeit, das herauszufinden: Sie musste ihn selbst fragen. Die Agentur, die als Veranstalter für die Zaubershow im Internet angegeben war, musste seine Adresse haben. Vielleicht hatte der Manager ihn auch gar nicht gefeuert, sondern das nur behauptet, damit Lugo und sie keinen Wirbel machten. Am besten, sie fuhr morgen, bevor ihre Schicht im Eiscafé begann, noch mal im Theater vorbei. Mit etwas Glück befanden sich noch einige der Mitwirkenden in der Stadt.
Sina schloss den Laptop und ging wieder ins Bett. Diesmal schlief sie fest und traumlos.
„Na, Spatz, wie war’s gestern? Hattest du Spaß?“, fragte ihre Mutter beim späten und ausgedehnten Frühstück.
„Mm, ja, war ganz lustig“, antwortete Sina mit vollem Mund. „Lugo hat extra eine teurere Karte gekauft und mit meiner Sitznachbarin getauscht, damit wir nebeneinandersitzen konnten.“
Normalerweise hätte sie diese Bemerkung nicht gemacht, schon um die friedliche Stimmung nicht zu stören. Aber Sina hatte spontan beschlossen, ihre Mutter dadurch vom Thema abzulenken. Statt über die Show wollte sie lieber über Lugo reden.
Doch es funktionierte nicht.
„Hast du diesen Norman oder wie er heißt gesehen?“, fragte ihre Mutter ungerührt. „Louisa konnte sich gar nicht wieder einkriegen. Sie hat mir sogar im Internet die Nummer mit dem Spiegel gezeigt. Ist wirklich jemand aus dem Publikum da durchgegangen? Das muss ein irrer Trick sein. Ich wüsste nicht, wie das funktionieren sollte.“
Zu dumm! Fieberhaft dachte Sina nach. Jetzt half nur noch die Flucht nach vorn. „Na ja, es sollte eigentlich eine Überraschung werden, aber wenn du schon fragst …“, sagte sie so beiläufig wie möglich. „Er hat mich als Assistentin aus dem Publikum geholt. Ich bin durch den Spiegel gegangen. Und es war wirklich der absolute Hammer. Ich war selbst dabei und weiß trotzdem nicht, wie der Trick funktioniert. Warte, ich zeig’s dir, davon gibt’s nämlich auch schon ein Video.“
Ohne eine Antwort abzuwarten, holte Sina ihren Laptop.
Wie erwartet war ihre Mutter völlig begeistert. „Wow, du siehst toll aus, als hättest du nie etwas anderes gemacht. Ist das dieser Norman? Komisch, der kommt mir irgendwie bekannt vor. Haben wir den schon mal im Fernsehen gesehen?“
„Nicht dass ich wüsste. Aber er heißt LeNormand.“
Sina ließ das Video bis zu der Stelle laufen, wo sie wieder auf der Bühne erschienen war. Dann schloss sie die Seite schnell.
„Na ja, und das war’s dann auch schon, danach hat er ohne mich weitergemacht“, sagte sie. Mit ein bisschen Glück würde ihre Mom jetzt sagen, dass sie das Video schon gesehen hatte, wenn jemand sie darauf ansprach.
Ihre Mutter lächelte. „Du hast den Guten ja ganz schön angeschmachtet. Was hat denn Lugo dazu gesagt?“
„Ach, der war ganz cool. Es hat ihm wohl gefallen, dass ich im Rampenlicht gestanden habe und er jetzt damit bei seinen Kumpels angeben kann.“ Sie hatte einmal zufällig gehört, wie Lugo bei seinen Freunden von ihr geschwärmt hatte – was ihr unheimlich schmeichelte.
Plötzlich kam Sina eine Idee, die so aufregend war, dass sie kaum mehr stillsitzen konnte. „Weißt du was, Mom, warum schauen wir uns die Show nicht noch mal gemeinsam an? Die treten heute Abend, glaub ich, in Modesto auf. Das ist doch gar nicht so weit weg. Ich besorge uns Karten und ein Motelzimmer. Du bist eingeladen! Ich kriege im Eiscafé so viel Trinkgeld, da können wir uns auch mal ein kleines Abenteuer leisten.“
Mittlerweile war sich Sina ziemlich sicher, dass LeNormand nicht gefeuert worden war. Er war schließlich die Hauptattraktion der Show. Auf ihn
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