DER KUSS DES MAGIERS
blass wie unter den Neonröhren, aber noch immer sehr seltsam.
„Anders als was?“, fragte sie durchaus nicht unfreundlich.
Jetzt wandte sich der Bärtige direkt an Sina. „Äh, Ihr Auftrittsangebot? Für die letzten Vorstellungen? Als LeNormands Assistentin? Wie gesagt, selbstverständlich erhalten Sie sofort einen Vorschuss auf die Gage, und alle Kosten für Unterbringung und Verpflegung sind gedeckt. Sie sind für diese Zeit krankenversichert, und wir übernehmen auch die Kosten für die Heimreise.“
„Ich bin LeNormands Manager“, erklärte er dann an ihre Mutter gewandt. „LeNormand hätte Ihre Tochter gern als feste Assistentin. Es sind ja leider nur noch vier Vorstellungen für die aktuelle Tour – eine heute Abend hier und drei in Lee Vining –, aber es gibt immerhin 500 Dollar pro Auftritt.“
„Und du hast Nein gesagt?“, fragte ihre Mutter erstaunt.
„Nein. Ich meine, ja.“ Sina wusste überhaupt nicht, wie ihr geschah. Was wollte dieser seltsame Kerl wirklich von ihr?
Er braucht dich , erklang eine Stimme in ihrem Kopf. Sie war längst nicht so angenehm wie die von LeNormand, ganz im Gegenteil, Sina bekam augenblicklich davon Kopfschmerzen. Du musst in der Nähe bleiben .
Sagt wer?, entgegnete sie trotzig, ohne die Lippen zu bewegen und obwohl sie die Stimme des Bärtigen eigentlich nicht noch einmal hören wollte.
Hast du denn gar nichts kapiert? Die wütende Stimme zu hören war schmerzhaft – wie das Kratzen von Fingernägeln auf einer Tafel. Sina hätte fast alles dafür getan, damit er schwieg.
„Lassen Sie uns mal kurz allein, bitte“, sagte ihre Mutter freundlich, aber bestimmt, und zu Sinas Überraschung zog der Bärtige sich sofort respektvoll zurück und blieb außer Hörweite.
„Also, wenn du denkst, ich würde es nicht erlauben …“ Ihre Mom lächelte. „Abgesehen davon, dass wir uns wohl beide langsam daran gewöhnen müssen, dass du deine eigenen Entscheidungen triffst, ohne mich vorher zu fragen … Also, ich hätte nichts dagegen, falls es daran liegt. Wenn er dich für ein ganzes Jahr buchen wollte, müssten wir wohl darüber reden, wegen des Stipendiums. Aber da es nur um vier Vorstellungen geht … Meinen Segen hast du.“
Wäre das Bühnenangebot echt gewesen, hätte Sina sicher nicht gezögert. Aber LeNormand war gefeuert, und sie wusste nicht einmal, wo er steckte.
Dem Bärtigen vertraute sie überhaupt nicht. Sie hatte im Beisein ihrer Mutter allerdings auch keine Möglichkeit, herauszufinden, um was es ihm wirklich ging. Entweder sprang Sina also ins kalte Wasser – oder sie kniff und erfand für ihre Mom eine lahme Ausrede. Zur Not konnte sie behaupten, es keine Woche ohne Lugo auszuhalten. Nein, dafür hatte ihre Mutter garantiert kein Verständnis.
Vielleicht hatte Mr. Selzig ja auch eingesehen, dass es ohne seinen Star doch nicht ging, und LeNormand reumütig wieder eingestellt? Das hatte er immerhin schon einmal getan. Vielleicht kam das Angebot ja tatsächlich von LeNormand, und er wollte seine Abschlussshows wirklich mit ihr bestreiten – weil sie schon wusste, was sie erwartete, und seine kleinen Aussetzer ausbügeln konnte?
Vielleicht tat es ihm leid, dass er sie am Vorabend so schroff abgewiesen hatte und wollte sie unbedingt wiedersehen?
Nun stahl sich doch ein Lächeln auf ihr Gesicht.
„Na, wenn du nichts dagegen hast …“, sagte Sina, noch ein wenig zögernd.
„Nur wenn es wirklich bei vier Vorstellungen bleibt.“
„Ja, klar. Es sind ja auch nur noch drei Wochen bis Semesterbeginn.“
„Also dann, wollen wir diesen Schornsteinfeger wieder an den Tisch holen?“
Sina nickte grinsend. Ihrer Mutter hatte dieses Wochenende eindeutig gutgetan.
„Sie haben sich also entschieden, LeNormand zu assistieren?“, fragte der Bärtige kurz darauf.
Sina nickte. Dennoch hatte sie das beklemmende Gefühl, eine doppelte Bedeutung nicht mitbekommen zu haben …
„Sehr schön. Dann genießen Sie erst mal den Tag. Ich werde Sie später kontaktieren. Im ‚Star Inn‘, zwei Blocks neben dem Theater, ist ein Zimmer für Sie reserviert. Hier sind Ihre Schlüssel und ein Vorschuss.“
Wie höflich er auf einmal sein konnte! Am vergangenen Abend hatte er sie nicht gesiezt. Hatte sie wirklich die richtige Entscheidung getroffen?
Er legte zwei Hundert-Dollar-Scheine und eine Schlüsselkarte mit der Nr. 32 auf den Tisch, verabschiedete sich und ging. Sina reichte das Geld sofort an ihre Mutter weiter. Schließlich musste sie nachher noch
Weitere Kostenlose Bücher