Der Kuss des Meeres
sie sieht, wie charmant ich bin, wird sie dir erlauben, mit mir zum Strand zu fahren.«
Sie verdreht die Augen. » Sei bloß nicht zu charmant. Wenn du zu glatt rüberkommst, wird sie niemals glauben, dass… Übertreib’s einfach nicht, okay?«
» Die Sache wird kompliziert«, sagt er und schließt ihren Wagen auf.
» Das Ganze war deine Idee, außerdem bist du Schuld daran. Noch kannst du einen Rückzieher machen.«
Er lacht leise und hält ihr die Wagentür auf. » Häng mich bloß nicht ab.«
Emma wirft ihren Rucksack auf die Theke und reckt den Kopf ins Treppenhaus. » Mom, könntest du mal kurz runterkommen? Wir haben Besuch.«
» Sicher, Schätzchen. Bin gleich da. Sie haben gerade angerufen, dass ich kommen soll. Hab’s eilig«, ertönt die Antwort von oben.
Er steckt die Hände in seine Taschen. Warum bin ich nervös? Es geht nur darum, einem weiteren Menschen etwas vorzumachen. Aber alles hängt davon ab, dass dieser Mensch ihn mag, ihn akzeptiert. Emmas Mutter für sich zu gewinnen, ist genauso wichtig, wie Emma zu gewinnen. Ihre Mutter könnte seine Aufgabe erschweren. Wenn sie ihn ablehnt, könnte ihn das Zeit kosten.
Plötzlich machen sich Selbstzweifel breit. Wenn er in den beiden Wochen vor Schulbeginn nicht mit Rachel geübt hätte, würde er das hier nicht einmal versuchen. Aber Rachel war gründlich. Sie ist jeden einzelnen Punkt mit ihm durchgegangen: was ihn in der Schule erwartet und wie er sich verhalten muss, was bestimmte Phrasen bedeuten, was er anziehen soll und wann er es anziehen soll. Sie haben seine Fahrkünste aufpoliert. Rachel hat sogar vorhergesehen, dass er Emmas Eltern kennenlernen würde– auch wenn niemals von einem Verhör die Rede war. Jetzt wünscht er, er hätte sie auf dem Weg hierher angerufen.
Als er wieder einmal darüber nachdenkt, Emma zu kidnappen, sieht er sich genauer um. Von der Küche aus kann er das ganze Erdgeschoss einsehen. Das Einzige, was bei der Einrichtung zusammenpasst, ist, dass nichts zusammenpasst– Haushaltsgeräte, Möbel, Farben. Alle Räume gehen ohne Türen ineinander über, als wäre man überall willkommen. Jenseits des Wohnzimmers spähen von Grasbüscheln durchsetzte Sanddünen durch das riesige Fenster herein, als würden sie lauschen.
Das alles ist ganz nach seinem Geschmack– im Vergleich dazu wirkt das Haus, das Rachel gekauft hat, kalt, distanziert und unpersönlich. Aber was ihn regelrecht eifersüchtig macht, sind die Bilder, die jede Wand des Raumes bedecken. Bilder von Emma. Ihr ganzes Leben hängt an diesen Wänden– und wenn er keinen Weg findet, ihre Mutter von seinen guten Absichten zu überzeugen, wird er wahrscheinlich keine Chance bekommen, sie anzusehen.
Er hört gedämpfte Schritte auf der Treppe. Als Emmas Mutter auftaucht, befestigt sie gerade etwas an ihrer Bluse. Als sie Galen sieht, bleibt sie stehen. » Oh.«
Galen weiß, dass sich der Schock auf ihrem Gesicht in seinem eigenen Ausdruck spiegelt. Ist sie eine Syrna? Ihre äußere Erscheinung– dunkles Haar, dunkle Haut und der hagere, muskulöse Körperbau– schreit Ja. Bis auf diese blauen Augen. Blaue Augen, die ihn mustern, als ob sie wüssten, wer er ist und warum er hier ist. Dann, mit dem nächsten Wimpernschlag, verwandeln sich diese blauen Augen einer Wächterin in die einer Gastgeberin.
Emma durchquert anmutig den Raum. » Mom, das ist mein Besuch. Das ist Galen Forza.«
Er lächelt und streckt die Hand aus, um sie zu begrüßen. Genauso hat Rachel es ihm beigebracht. » Hi, Mrs McIntosh. Freut mich, Sie kennenzulernen.«
Sie kommt ihm auf halbem Weg entgegen und nimmt seine Hand. Ihr Händedruck ist selbstbewusst, aber nicht zu dominant und löst nicht das kleinste Kribbeln aus. Nicht, dass er wirklich eine elektrisierende Spannung erwartet hätte, aber sie ist immerhin Emmas Mutter. Aus der Nähe bemerkt er das Grau, das sich in dünnen Strähnen durch ihr Haar zieht. Spuren des Alters; ein menschlicher Prozess. Ihr Tonfall ist ausgesprochen höflich, aber ihre Augen– blau, keine Kontaktlinsen, soweit er das erkennen kann– sind geweitet, und ihr Mund schließt sich niemals ganz. » Oh. Galen.« Sie dreht sich zu Emma um. » Das ist Galen ? «
Er erkennt, dass sie Emma mit dieser Frage noch eine andere Frage stellt– eine, die nichts damit zu tun hat, dass er ein Syrena ist. Er schiebt die Hände in die Taschen und fängt an, den Teppich anstatt ihres Gesichts zu mustern, wobei er jeden einzelnen Faden einer ausführlichen
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