Der Kuss des Meeres
wenn ich meinen Stundenplan ändere?« Ich weiß, dass ich grob bin. Der Typ hat angeboten, meine Sachen zu tragen und mich zum Unterricht zu begleiten. Und je nachdem, welche Version der Geschichte ich glaube, hat er mich entweder schon am Montag auf ein Date eingeladen oder aber indirekt vor ein paar Sekunden. Aber so oder so ergibt das alles keinen Sinn. Warum ich? Mir fallen auf Anhieb mindestens zehn Mädchen ein, die in puncto Aussehen, in puncto Persönlichkeit und in puncto Foundation besser abschneiden als ich. Und Galen könnte jede von ihnen haben.
» Hey, hast du keine Gegenfrage mehr auf Lager?«, erkundige ich mich nach einigen Sekunden.
» Ich finde es einfach nur bescheuert, dass du deinen Stundenplan wegen einer dummen Meinungsverschiedenheit über die Titanic ändern willst…«
Ich werfe die Hände hoch. » Kapierst du denn nicht, wie seltsam das alles für mich ist?«
» Ich versuche es, Emma. Ich versuche es wirklich. Aber ich denke, du hattest zwei harte Wochen, und die fordern ihren Tribut. Du hast gesagt, dass immer etwas Schlimmes passiert, wenn du in meiner Nähe bist. Aber ob das stimmt, wirst du nur herausfinden, wenn du mehr Zeit mit mir verbringst. Das solltest du zumindest zugeben.«
Irgendetwas stimmt nicht mit mir. Diese Cafeteriatür muss mich wirklich erledigt haben. Sonst würde ich Galen niemals so barsch abweisen. Nicht wenn er mich geradezu anfleht, nicht wenn er sich so zu mir herüber beugt, nicht wenn er so gut duftet. » Siehst du? Du nimmst es persönlich, obwohl es nichts Persönliches ist«, flüstere ich.
» Für mich ist es persönlich, Emma. Es stimmt, ich kenne dich nicht gut. Aber es gibt ein paar Dinge, die ich über dich weiß. Und ich würde gern mehr wissen.«
Selbst ein Glas Eiswasser könnte meine Wangen nicht mehr abkühlen. » Alles, was du über mich weißt, ist, dass ich in Flipflops eine Gefahr für die Menschheit bin.«
Dass ich ihm nicht in die Augen sehen will, stört ihn offenbar, denn er hebt mein Kinn mit einem gekrümmten Finger an. » Das ist nicht alles, was ich weiß«, erwidert er. » Ich kenne dein größtes Geheimnis.«
Dieses Mal wische ich seine Hand nicht weg. Durch meine Füße fließt elektrischer Strom und beweist, dass wir wirklich so nah beieinanderstehen, dass sich unsere Zehen berühren. » Ich habe keine Geheimnisse«, sage ich wie gebannt.
Er nickt. » Das habe ich inzwischen auch verstanden. Du weißt tatsächlich nichts über dein Geheimnis.«
» Du redest Unsinn.« Oder ich kann mich einfach nicht konzentrieren, weil ich versehentlich seine Lippen angesehen habe. Vielleicht hat er mich wirklich zum Schwimmen überredet …
Die Tür des Sekretariats schwingt auf. Galen packt mich am Arm und schleift mich um die Ecke. Er zerrt mich einfach weiter den Flur entlang, in Richtung Weltgeschichte.
» Das war’s dann?«, frage ich verärgert. » Dabei willst du es belassen?«
Vor der Tür bleibt er stehen. » Das hängt von dir ab«, sagt er. » Komm nach der Schule mit mir an den Strand und ich werde es dir erzählen.«
Er streckt die Hand nach dem Knauf aus, aber ich halte sie fest. » Mir was erzählen? Ich habe dir doch schon gesagt, dass ich keine Geheimnisse habe. Und ich gehe nicht schwimmen.«
Er grinst und öffnet die Tür. » Am Strand kann man noch andere Dinge tun als schwimmen.« Dann zieht er mich so dicht an sich heran, dass ich denke, er wird mich küssen. Stattdessen flüstert er mir ins Ohr: » Ich werde dir erzählen, woher deine Augenfarbe kommt.« Als ich nach Luft schnappe, legt er mir sanft eine Hand ins Kreuz und schiebt mich ins Klassenzimmer. Und dann lässt er mich einfach stehen.
8
Die Glocke läutet zum letzten Mal und die Schüler strömen aus allen Ecken des roten Ziegelsteingebäudes. In der Ferne zischen die Bremsen des Schulbusses, und die jüngsten Schüler pferchen sich dicht gedrängt in die Zufahrt, um einzusteigen. Wie eine Herde bewegt sich die Oberstufe der Middle-Point-Highschool in einem stetigen Strom zum Parkplatz, wo sie sich um Galen und sein nicht-ganz-so-bescheidenes Auto schart. Er lehnt sich gegen den Kofferraum, nickt den Jungs zu, die den Wagen bewundern, und meidet jeden Blickkontakt mit den Mädchen, die etwas anderes bewundern.
Die Welle von Schülern verwandelt sich in eine Blechlawine. Das obligatorische Hupen lässt etwas nach, als sich die Autos, vollbepackt mit menschlichen Teenagern, dem Highway nähern. Galen hört, wie hinter ihm jemand auf einem
Weitere Kostenlose Bücher