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Der Kuss des Morgenlichts

Der Kuss des Morgenlichts

Titel: Der Kuss des Morgenlichts Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Leah Cohn
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überdimensionale Glühbirne, die immer schwächer und schwächer wurde und schließlich zu flackern begann.
    Ich zog Aurora an mich und fühlte, wie auch umgekehrt ihre Arme mich umschlangen. Der wissende Ausdruck war aus ihrem Gesichtchen verschwunden, sie war jetzt nichts weiter als ein siebenjähriges Mädchen, das sich fürchtete.
    Doch anders als ich schrie sie nicht entsetzt auf, als wir sahen, dass nun nicht mehr nur Nathan mit einem Schwert bewaffnet war, sondern auch Cara. Hatte sie ihre Waffe, die sie energisch in der Luft kreisen ließ, schon vor langer Zeit heimlich in die Villa gebracht und sie hier aufbewahrt, um jederzeit Angreifer zurückschlagen zu können?
    Ich suchte erst ihren, dann Nathans Blick, suchte nach Zuspruch, Trost, nach der Gewissheit, dass alles gut werden würde. Aber es war, als würde ich in die Gesichter von Fremden blicken.
    Nathans Augen glühten nicht einfach nur, sein ganzes Gesicht schien von einem blauen Lichtschleier umgeben. Bei Cara war es ein schillerndes Grün. Ich hatte kaum gemerkt, wie sie an mir vorbeigehuscht war, nun an der Fensterfront entlanglief. Ihre Bewegungen waren wendig und weich – und zugleich so mechanisch und präzise, als würden sie von einem Roboter ausgeführt.
    »Es sind fünf«, sagte Cara, ihre Stimme so hart wie ihr Blick, »fünf oder vielleicht sechs.«
    Ihre letzten Worte gingen im neuerlichen Getöse des Vogelschwarms unter. Wieder glaubte ich vor der Fensterfront einen Schatten auszumachen, vielleicht auch mehrere. Während Cara die Zahl der Angreifer ausgemacht hatte, hätte ich nicht einmal mit Sicherheit sagen können, dass es überhaupt Wesen in menschlicher Gestalt waren, die die Villa umkreisten.
    »Immer noch keine Spur von Caspar«, stellte sie fest.
    Kurz wirkte sie erleichtert – und darum menschlich, doch diese Anwandlung währte nicht lange, dann erstarrten ihre Züge wieder.
    Ich wollte Aurora noch fester an mich ziehen, aber plötzlich wehrte sie sich und löste sich von mir.
    »Auro … «
    Ihr Name blieb mir in der Kehle stecken. In ihren Zügen war nicht länger kindliche Angst, stattdessen hatte sich – ähnlich dem bläulichen Schein, der von Nathans Augen ausging – auch um sie dieses fluoreszierende Licht gelegt. Ihre Haut wirkte blasser, schimmerte wie Elfenbein, ihr Haar schien, wie von der Sonne beschienen, zu leuchten, obwohl der Himmel sich noch weiter verdunkelt hatte, sämtliche Muskeln waren angespannt und verhießen unglaubliche Kraft. Nathan hatte zwar behauptet, dass sie noch über keine außergewöhnlichen körperlichen Kräfte verfügen würde, aber ich war mir in diesem Augenblick sicher, dass ich durch den ganzen Raum fliegen würde, wenn sie mir nur einen leichten Stoß versetzte.
    Mit einer Mischung aus Befremden und Unbehagen, aber auch Ehrfurcht und Liebe starrte ich sie an, als sie mich plötzlich an der Hand packte und zur Seite riss. Viel früher als ich hatte sie ein neuerliches Krachen und Klirren vom Garten her wahrgenommen. Etwas Schweres, Schwarzes flog haarscharf an mir vorbei, und kurz dachte ich, eine der dunklen Gestalten hätte Anlauf genommen und sich mit ganzer Macht gegen die halb zerstörte Balkontür geworfen. Doch was da jetzt in der Mitte des Raumes lag, war kein Mensch, sondern ein Baumstamm, an dem noch die erdigen Wurzeln hingen. Während ich ihn aufgrund seines enormen Gewichts nicht einmal zur Seite hätte rollen können, hatte ihn ein anderer wie einen Speer benutzt, um das Loch in der Tür zu vergrößern. Glassplitter waren auf mich herabgerieselt. Ich blickte auf meine Hände, bemerkte einen Blutstropfen, der sich langsam seinen Weg zum Ellbogen bahnte.
    »Sophie, gib Acht!«
    Im nächsten Augenblick fühlte ich, wie sich Nathans Arme so fest um mich legten, dass mir die Luft wegblieb. Wieder einen Augenblick später stand ich neben Cara und Aurora im Flur, ohne recht fassen zu können, wie die beiden, ja, wie ich selbst so schnell hierhergeraten war.
    Vom Wohnzimmer her kam dieser schrille Laut, nicht länger ein Lachen, sondern eher ein Keuchen, das so unangenehm in den Ohren klang, als würden zwei Styroporplatten quälend langsam aufeinandergerieben. Unwillkürlich hielt ich mir die Ohren zu; Aurora und Nathan erstarrten. Cara hingegen huschte lautlos an mir vorbei, und anstelle des Keuchens erklang nun das Klirren von Schwertern. Ich spähte ins Wohnzimmer, sah zwei der dunklen Gestalten gleichzeitig auf Cara losspringen und schrie entsetzt auf, doch sie teilte

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