Der Kuss des Morgenlichts
durch sein dunkelbraunes Haar, während seine Hände liebkosend über meinen Körper wanderten. Ich war ganz von der Lust erfüllt, und es gab kein Zögern, kein Nachdenken, kein Innehalten. Ich öffnete mich ihm, warm, feucht, bereit; als er in mich eindrang, trafen sich unsere Blicke.
Ein Zittern überkam mich, heftig und unkontrolliert. Ich versuchte, es zu unterdrücken, doch dann merkte ich, dass es nicht mein Körper war, der zitterte, sondern seiner. Er bebte nahezu, zitterte in einem fort.
»Was ist mit dir?«
Unsere Blicke blieben ineinander versunken. »Ich liebe dich, Sophie«, flüsterte er heiser. »Ich liebe dich.«
Es war noch eine Woche bis zur Bakkalaureatsprüfung, als ich feststellte, dass ich schwanger war.
Ich war nicht einmal sonderlich überrascht. Vielleicht redete ich es mir im Rückblick auch nur ein, doch eigentlich hatte ich es schon viel früher geahnt, noch am Morgen, der unserer gemeinsamen Nacht gefolgt war.
Wir hatten uns ein zweites Mal geliebt, langsamer, zärtlicher, ruhiger, dann war ich in Nathans Armen eingeschlafen und erst beim ersten Dämmerlicht erwacht. Grau und diesig fiel es zunächst ins Zimmer; dann spannen sich erste rote Fäden. Nathan hatte zu diesem Zeitpunkt nicht mehr geschlafen. Als ich den Kopf hob, merkte ich, dass er mich betrachtete. Noch ehe ich den Ausdruck seines Gesichts deuten konnte, beugte er sich vor, küsste und umarmte mich. Später stand ich wortlos auf und kleidete mich an. Es gab nichts zu sagen. Kein Wort hätte den Rausch beschreiben können, dem wir uns beide in dieser Nacht hingegeben hatten, kein Wort die Nähe und Liebe, die Lust und die Erfüllung. Als ich das Haus verließ, war der Himmel glutrot. Nathan brachte mich nach unten und blickte mir nach, als ich langsam von ihm ging – eigentlich war es kein Gehen, eher ein Tanzen und Springen und Kreisen, ohne den Boden unter mir zu fühlen – und während ich mich immer wieder umdrehte und ihm zuwinkte, ging mir zum ersten Mal der Gedanke durch den Kopf, ein Kind empfangen zu haben.
Ich dachte nicht darüber nach, welche Konsequenzen das hatte, wie unmöglich der Zeitpunkt war, wie leichtsinnig, es nicht verhindert zu haben – ich war von dem Gedanken ebenso überwältigt wie von den Erinnerungen an diese Nacht.
Es würde die einzige bleiben, die ich je bei Nathan verbringen sollte. In den folgenden drei Wochen erlebten wir wundervolle Tage, ohne dass sich jedoch die Leidenschaft jener Nacht noch einmal wiederholte. Er müsse wieder für ein paar Tage weg, erklärte mir Nathan dann, und obwohl ich das bedauerte, erschien mir diese Mitteilung zugleich als Beweis für die Ernsthaftigkeit unserer Beziehung. Ja, diesmal verschwand er nicht ohne Ankündigung, sondern erzählte mir irgendetwas von München und einem einstigen Cellolehrer, den er dort treffen würde, eine einmalige Gelegenheit, denn besagter Lehrer lebe in den USA und halte sich immer nur kurz in Europa auf. Später fragte ich mich, warum ich nicht enttäuscht darüber gewesen war, dass er mich nicht einfach mitgenommen hatte. Doch damals machte ich mir darüber keine Gedanken, machte mir eigentlich gar keine Gedanken, verzehrte mich nur danach, bei seiner Rückkehr wieder in seinen Armen zu liegen. Doch als er endlich wieder in Salzburg war, hielt er sich von mir fern. Er könne es kaum erwarten, mich endlich wiederzusehen, aber er habe sich auf seiner Reise ein Virus eingefangen, nichts Ernstes, aber etwas Ansteckendes, besser, wir würden fürs Erste nur miteinander telefonieren. Ihn in Salzburg zu wissen, aber ihn nicht sehen zu können, war unerträglich für mich. Aber mir blieb nichts anderes übrig, als es hinzunehmen, und ich zweifelte an seiner merkwürdigen Krankheit ebenso wenig wie an seiner Reise nach München, so wie ich alles, was um mich herum geschah, zwar wahrnahm, aber in meinem Glücksrausch nicht hinterfragte.
Auch die ersten körperlichen Anzeichen der Schwangerschaft – das Ziehen in den Brüsten, die leichte Übelkeit, das Schwindelgefühl, wenn ich abrupt aufstand – konnten diesem Glücksgefühl nichts anhaben. Als ich einen Schwangerschaftstest kaufte, schien es mir, als betrachte mich die Apothekerin mitleidig, doch ich lächelte aufrichtig und strahlend.
Ausgerechnet in dem Moment, als ich darauf wartete, dass der Teststreifen sich verfärbte, kam Nele nach Hause. Sie wusste sofort, was ich in Händen hielt und sah fast noch vor mir das Ergebnis. Ohnehin brauchte ich eigentlich keine
Weitere Kostenlose Bücher