Der Kuss des Morgenlichts
Bestätigung mehr. Ich wusste, dass Nathans Kind in mir wuchs, unser Kind.
»Wie konnte das nur passieren?«
Ich lächelte Nele glücklich an.
»Du freust dich?«, sagte sie fassungslos.
Ich nickte. Mir fiel einfach nichts anderes ein, als mich zu freuen.
»Aber du willst mir doch nicht ernsthaft sagen, dass du jetzt, mitten im Studium, ein Kind kriegen willst? Du bist noch nicht mal zwanzig! Du … du willst Pianistin werden!«
Irgendwo tief drinnen wusste ich auch, dass es unvernünftig war. Doch ich war glücklich, ich fühlte mich stark und war mir sicher, alles meistern zu können. Ich hätte die ganze Welt umarmen können.
Ich drückte Nele einen Kuss auf die Wange, und ohne ein weiteres Wort ließ ich sie einfach stehen. Beschwingt lief ich über die Getreidegasse und den Markartsteg in Richtung Mozarteum. Erst gestern Abend hatte Nathan mich angerufen, seine Krankheit für ausgestanden erklärt und ein Treffen vorgeschlagen. Ich legte den Weg ungleich schneller zurück als sonst, doch als ich ankam, war ich keineswegs erschöpft. Ich hatte vielmehr das Gefühl, noch ewig so weiterlaufen zu können.
Nathan stand bereits vor dem Eingang und blickte sich suchend um. Es war ein lauer Tag, trotzdem trug er einen dicken, dunklen Mantel. Auch nachdem ich ihm heftig zugewinkt und er mich gesehen hatte, ließ er seinen Blick unruhig schweifen.
»Nathan!«, rief ich, »Nathan!«
Ich drosselte mein Tempo nicht, als ich ihm um den Hals fiel, von der Freude, ihn endlich wiederzusehen, ebenso überwältigt wie von meiner Schwangerschaft. Hart prallten unsere Körper aufeinander, und er zuckte zusammen. Ich hatte nicht darüber nachgedacht, wie ich ihm die Neuigkeit mitteilen sollte, frei heraus oder lieber schonend und behutsam, – es sprudelte einfach aus mir heraus. Ich war so berauscht vor Freude, dass ich mir gar nicht vorstellen konnte, er könne ähnlich schockiert sein wie Nele. Ich war erfüllt von dem Gedanken und konnte nur immer und immer wieder sagen, dass ich ein Kind von ihm bekam.
Er antwortete nicht, blickte stattdessen immer noch suchend in sämtliche Richtungen. Als seine Augen sich endlich auf mich richteten, schienen sie durch mich hindurchzusehen. Erst langsam, ganz langsam reagierte er auf meine Worte. Etwas verzerrte seine schönen, feinen Züge – es war blankes Entsetzen.
»Was redest du da?«, raunte er.
Ich wich zurück.
»Hast du nicht gehört, was ich gesagt habe? Ich bin schwanger. Ich bekomme ein Kind, und … «
Ehe ich noch weitersprechen konnte, hatte er mir seine Hand vor den Mund gepresst. Meine Lippen brannten.
Ich wich weiter zurück. »Bist du verrückt geworden?« Die Worte gerieten nuschelnd, denn noch immer drückte er seine Hand gegen meinen Mund.
»Nicht so laut!«, fuhr er mich an, »das kann doch jeder hören.«
Ich sah mich um; im Innenhof des Mozarteums standen ein paar Musikstudenten zusammen und rauchten. Auf der Straße lief eine Frau mit einem kleinen Jungen an der einen Hand und einem Korb mit Einkäufen in der anderen Hand. Ein älterer Mann führte einen Pudel mit schrillem rosa Strickkleid an der Leine. Sonst war niemand zu sehen – und diese wenigen Menschen achteten weder auf Nathan noch auf mich.
Ich stieß seine Hand fort. »Wer … wer soll es hören können? Und selbst wenn, ich … «
Diesmal legte er seine Hand ungleich sanfter auf meine Lippen, es war nicht grob wie beim ersten Mal und dennoch unangenehm. Beschwingt und energiegeladen hatte ich mich gefühlt, aber nun stiegen Schwindel und Angst in mir auf, umso mehr, als er sich wieder und wieder besorgt umdrehte.
Dass er sich nicht freute, das konnte ich vielleicht noch verstehen – aber dass er gar nicht auf die Nachricht einging? Auch dann nicht, als er mich schließlich mit sich zog, nicht ins Mozarteum, sondern zur Salzach?
»Komm, ich bringe dich nach Hause … «
»Aber … «
»Komm einfach!«
Der Befehl klang so streng und hart, dass ich zusammenzuckte und mich ihm nicht zu widersetzen wagte.
Schweigend gingen wir nebeneinanderher. Nach den ersten Schritten hatte er mich nicht nur losgelassen, sondern war deutlich von mir abgerückt. Wenn man uns so sah, hätte man uns für Fremde halten können, die nur zufällig nebeneinandergingen. Ich schaute ihn mehrmals von der Seite an und wollte etwas sagen, doch er wich meinem Blick aus, und ich brachte kein Wort über die Lippen.
Als wir die Salzach überquerten, war ich mir sicher, dass es ein Fehler gewesen war, ihn mit
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