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Der Kuss des Morgenlichts

Der Kuss des Morgenlichts

Titel: Der Kuss des Morgenlichts Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Leah Cohn
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solche Existenz auszulöschen. Drei bestimmte Arten gibt es, Nephilim zu töten … oder Menschen. Wird das Opfer enthauptet, gehen dessen intellektuelle Fähigkeiten auf den Täter über. Wenn jemand verblutet, dann seine Vitalität, also seine körperlichen Kräfte. Und wenn wir Nephilim dem Opfer das Herz aus der Brust reißen, so erlangen wir sein emotionales, intuitives Vermögen.«
    Wieder entstand ein Bild vor meinem inneren Auge, diesmal ganz und gar nicht unrealistisch, sondern eine konkrete Erinnerung … an einen Leichnam … an Blut … an starre Augen …
    »Wir sind keine Wunderwesen«, sagte Nathan. »Wir können nicht fliegen, weil kein Mensch fliegen kann. Aber die Fähigkeit, weit oder hoch zu springen zum Beispiel – eine Fähigkeit, die jeder Mensch hat, wird bei uns so sehr gesteigert, dass wir ungleich höher und ungleich weiter zu springen vermögen als jeder Olympiasieger. Das heißt, wir können sehr spezielle, sehr seltene Fähigkeiten, über die nur wenige Menschen verfügen, auf uns vereinen: Denk dir den weltbesten Sprinter, der über das absolute Gehör verfügt, dreißig Sprachen fließend spricht und herausragender Ägyptologe ist – kein Mensch, sondern ein Nephil. Uns sind nur wenige Grenzen gesetzt, es gibt fast nichts, was wir nicht können. In all der Zeit sind wir nicht nur vielseitiger geworden, sondern auch nahezu unbesiegbar. Doch das gilt eben sowohl für die Wächter als auch für die Schlangensöhne. Über die Jahrhunderte hinweg gab es immer wieder große Verluste auf beiden Seiten, doch die wenigen, die aus diesen großen Schlachten übrig geblieben sind und heute noch die Welt bevölkern – wahrscheinlich einige Tausend – sind alle in etwa gleichstark. Die meisten Kämpfe zwischen uns enden unentschieden. Eindeutige Sieger gibt es nur dort, wo ein noch junger Nephil auf einen viel älteren trifft. Ansonsten ist es nahezu unmöglich, unseren Auftrag zu erfüllen … «
    »Der Auftrag«, murmelte ich, »die Menschen zu beschützen … «
    »Im Grunde geht unser Auftrag noch weiter: Es geht nicht nur darum, die Menschen vor akuten Gefahren zu bewahren – was uns auch häufig glückt –, sondern sie ein für alle Mal von dieser Bedrohung zu befreien. Wir haben unser eigentliches Ziel erst dann erreicht, wenn sämtliche Schlangensöhne vernichtet sind.«
    »Und dann? Was geschieht dann?«
    »Ich kann mir kaum vorstellen, dass uns das, so wie es zum jetzigen Zeitpunkt aussieht, gelingen kann. Doch wenn wir tatsächlich diese Kreaturen irgendwann einmal vom Erdboden getilgt haben sollten, dann gibt es für uns nichts mehr zu tun. Dann müssen wir uns selbst vernichten.«
    Ich fuhr zusammen, suchte seinen Blick. Unendlich grausam erschien mir diese Bestimmung. Doch in seinem Gesicht war keine Melancholie, nur Entschlossenheit, die mich schaudern ließ. Einzig sein angespannter Körper und seine hastigen Schritte verrieten, wie viel ihn diese Entschlossenheit kosten und unter welch gewaltigem Druck er stehen musste … wohl immer stand, auch seinerzeit in Salzburg, als wir uns das erste Mal begegnet waren.
    »Die Toten von Hallstatt … «, stammelte ich, »und damals in Salzburg – die Toten von Untersberg. Man hat ihnen das Herz herausgerissen, sie verbluten lassen, sie enthauptet. Es waren Nephilim, die sie ermordet haben, nicht wahr? Die Bösen … die Schlangensöhne.«
    »Ja«, sagte er schlicht.
    Ich erschauderte noch mehr. »Aber ich dachte, ihr … die Wächter ... würdet die Menschen beschützen. Wie kann es dann sein, dass … «
    »Wir beschützen die Menschen oft, ohne dass sie es bemerken. Aber nicht immer können wir rechtzeitig eingreifen. Und manchmal werden die Menschen auch Opfer unseres Kampfes – dann nämlich, wenn sie zufällig zwischen die Fronten geraten. In jedem Falle ziehen Menschen, die besondere Fähigkeiten haben, körperlich besonders fit sind, hoch intelligent oder in irgendeiner speziellen Sache außergewöhnlich begabt, die Begehrlichkeit der Schlangensöhne auf sich.«
    Körperlich fit … , echote es in meinem Kopf, die Wanderer … die Mountainbiker …
    Wieder hatte ich das Bild des Toten, den ich gefunden hatte, vor Augen – wie er da vor mir im Moos gelegen hatte, kraftlos, starr und mit aufgedunsener weißer Haut … all seiner Stärke beraubt …
    »Wenn ihr gleich stark seid – heißt das, dass auch ihr Wächter Menschen tötet? Damit ihr im Kampf gegen die Schlangensöhne mithalten könnt?«, fragte ich leise.
    Meine Frage

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