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Der Kuss des Morgenlichts

Der Kuss des Morgenlichts

Titel: Der Kuss des Morgenlichts Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Leah Cohn
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und heraus kamen nicht länger die lieblichen, glockenhellen Laute, sondern Hohngelächter, schrill und markerschütternd. Ich schüttelte wieder den Kopf, das Bild verschwand aus meinem Kopf – aber das Gelächter hielt an, wurde sogar noch lauter. Es drang nicht länger aus dem schmallippigen Mund des Jungen, sondern von woanders her … es schien unser ganzes Haus zu umgeben.
    Die anderen hatten es noch vor mir gehört. Nathan war in den Flur gestürzt, und als er wiederkehrte, trug er nicht nur einen dunklen Mantel, sondern auch sein Schwert. Ich sah ihn nicht zum ersten Mal damit, und dennoch konnte ich den Anblick dieser gefährlichen und archaischen Waffe in seinen feinen, langen Cellisten-Händen kaum ertragen.
    Cara zog mich hastig vom Fenster fort.
    »Wenn du Nathan geholfen hast, Caspars Kind zu töten – dann will er sich an dir genau so rächen wie an ihm«, erkannte ich.
    Ihre Augen funkelten grün, und ich musste daran denken, was Nathan vorhin angedeutet hatte: Dass Caras Augenfarbe sich von allen anderen ihrer Art unterschied, sie keine gewöhnliche Nephila war, sondern – fast ein Ding der Unmöglichkeit – die Seiten gewechselt hatte. Hatte das auch mit Caspar zu tun?
    »Ich kenne ihn besser, als mir lieb ist«, erwiderte sie und fügte grimmig hinzu: »Doch wenn er glaubt, er könnte mich mit seinen erbärmlichen Kreaturen einschüchtern, so hat er sich geirrt!«
    »Aber wenn ihr das alles habt kommen sehen – seine Rachegelüste, seine Gier, Aurora zu besitzen – wie kommt es dann, dass Caspar so viele Gehilfen hat, ihr aber nicht?«
    Wieder tauschten Cara und Nathan einen schnellen Blick aus.
    »Es muss doch noch viele andere Wächter geben, für die Caspar ein schlimmer Feind ist!«, rief ich, als keiner der beiden mir antwortete. »Warum seid nur ihr beide hier, um Aurora und mich zu schützen?«
    Cara reagierte unerwartet. Der Grimm schwand aus ihrem Gesicht, und sie lachte auf. Es klang bitter, fast ein wenig zischend wie bei Caspar. Sie war mir immer als die schönste Frau erschienen, der ich je begegnet war, doch nun verzerrte etwas ihre Züge, das mich befremdete – so viel Verbitterung und Enttäuschung, so viel ohnmächtige Wut und auch Trauer.
    »Cara ist nicht sonderlich beliebt«, meinte Nathan ausweichend. »Es hat mit ihrer Herkunft zu tun.« Er verstummte, ehe er mehr erklärte, und fügte nach einem kurzen Schweigen rasch hinzu: »Ich wiederum habe viele Freundschaften eingebüßt, weil ich so oft mit meiner Bestimmung gehadert habe. Viele meinesgleichen warfen mir vor, ein Verräter und ein Feigling zu sein, der lieber Cello spielen würde, als unseren Auftrag zu erfüllen.« Er machte eine kurze Pause, um dann entschlossen zu verkünden: »Aber ich kann kämpfen – wenn es darauf ankommt.«
    »Keine Angst«, sagte Cara schnell. »Niemand kann uns gefährlich werden, höchstens Caspar. Und er ist nicht unter denen, die gerade die Villa einkreisen.«
    Caras Worte hätten mich beruhigen sollen, und auch das schaurige Gelächter war wieder verstummt, doch das Gefühl, dass die Villa von Feinden umlauert war, schnürte mir die Kehle zu.
    »Warum weißt du das?«, fragte ich stimmlos.
    »Ich würde es fühlen.«
    Ihre grünen Augen leuchteten auf.
    »Wie? Wie würdest du es fühlen?«
    »Es liegt daran, dass wir … «
    Sie kam nicht weiter. Hinter uns zersprang mit lautem Klirren ein Fenster.

    Ich fuhr herum, sah die vielen spitzen Glasscherben auf den Wohnzimmerboden regnen. Sonnenlicht fiel auf sie wie vorhin auf die Staubkörnchen und brachte sie zum Funkeln, einem schimmernden Kristallmeer gleich, das eigentlich zu schön war, um Bedrohung und Gefahr zu verheißen. Ich riss meinen Blick davon los, erkannte nun, dass es keines der Fenster, sondern stattdessen die Tür zum Garten war, die zu Bruch gegangen war. Ein Loch klaffte in ihr, groß genug, um beide Hände durchzustecken, jedoch zu klein, um hindurchzuschlüpfen. Niemand war zu sehen, als ich angestrengt in den Garten starrte und ein Flattern vernahm – das Flattern eines Vogels, nein, von mehreren Vögeln, von einem riesigen Schwarm, wie es schien. Dann glaubte ich zu erkennen, dass etwas Dunkles vorbeihuschte, viel größer als ein Vogel und viel schneller als ein solcher.
    Die Glassplitter funkelten nicht mehr. Das Licht, das ins Wohnzimmer fiel, wirkte nicht länger leuchtend, sondern fahl, so, als hätte sich nicht bloß eine Wolke vor die Sonne geschoben, sondern als wäre diese nichts weiter als eine

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