Der Kuss des Verfemten
er.
Mit katzenhafter Geschmeidigkeit hechtete de Cazeville hinter eine der Steinsäulen, die den Altar flankierten. Im Dämmerlicht der Kapelle hatte Gundram ihn nicht sehen können. Zornig hielt er den Griff des fein gearbeiteten, orientalischen Dolches umklammert.
Isabella und Mathilda erhoben sich und verließen gemeinsam mit Gundram die Kapelle. Langsam ließ sich de Cazeville auf den Fußboden sinken. Dann ritzte er mit der Spitze des Dolches das Teufelszeichen in den Stein.
*
Patrick balancierte das Tablett mit der Gefangenenkost herein. Zu Isabellas und Mathildas Erstaunen befand sich auf dem Teller ein Stück kaltes Fleisch, geräucherter Fisch, gewürzter Käse und ein Töpfchen mit Rahm. Das Brot war hell und ohne Asche, aus dem Wasserkrug duftete es verdächtig nach Wein.
Sie blickten ihn erstaunt an.
»Im Wald sitzt der Falke«, sagte er. »Schon bald öffnet er seine Schwingen. Er wartet auf den Ruf der Eule.«
Er blinzelte wieder verschmitzt, als er sie verließ.
»Verstehst du das?«, fragte Isabella.
»Nein, aber das Essen ist verführerisch. Ich habe schrecklichen Hunger!« Beide machten sich über das Mahl her und meinten, noch nie etwas Köstlicheres gegessen zu haben. Sie verspeisten alles bis auf den letzten Krümel.
»Gundram scheint doch kein so schlechter Mensch zu sein«, bemerkte Mathilda. »Zumindest lässt er uns nicht verhungern.«
»Nein, aber trotzdem könnte ich ihn nicht heiraten. Er ist so grob, so hart.«
»Aber das müssen Ritter doch sein!«, widersprach Mathilda. »Wie sonst könnten sie in den Krieg ziehen und kämpfen?«
»Ach, ich weiß nicht, was ich tun soll!«
»Was gibt es da noch zu überlegen? Gib ihm dein Wort, und wir sind frei!«
»Ich hatte einen seltsamen Traum, da spielte Gundram eine unrühmliche Rolle.«
»Träume sind Schäume! Hier unten muss man doch Alpdrücken bekommen!«
»Ich schlafe noch eine Nacht darüber. Bis jetzt kann ich mich nicht dazu durchringen.«
Mathilda seufzte. »Ring nicht so lange mit dir, sonst verzweifle ich noch in diesem Loch!«
Isabella umschlang Mathilda. Das gute Essen hatte beide ermüdet. »Wie poetisch er das gesagt hat: Der Falke wartet auf den Ruf der Eule! Das hätte ich so einem schlichten Burschen gar nicht zugetraut.«
»Nein«, murmelte Mathilda. »Dichter scheint es sogar im Kerker zu geben. Was meinte er eigentlich damit, dass der Falke seine Schwingen breitet, wenn er den Ruf der Eule hört?«
Aber Isabella schlief schon mit tiefen, regelmäßigen Atemzügen.
Patrick wartete, bis der alte Kerkermeister eingeschlafen war. Zuvor hatten sie sich lange unterhalten, und Albert hatte dem Wein, den Patrick besorgt hatte, kräftig zugesprochen. Dann lag der Alte schnarchend auf seinem Strohlager.
Patrick huschte durch den geheimen Gang, der sich vom Burgfried zu den Felsen zog und vor vielen Jahren einmal als letzte Rettung für flüchtende Bauern gegraben worden sein mochte. Jetzt diente er als umgekehrter Rettungsweg. Martin würde Augen machen!
Er hastete zu einer abgelegenen Wiese, wo sein Pferd in einem Pferch wartete. Er schwang sich hinauf und jagte durch die Dunkelheit dem Wald zu.
Siebtes Kapitel
Tiefe Nacht lag über der Burg, als der Schlüssel im Schloss der Kerkertür knirschte.
Isabella fuhr verschlafen von ihrer harten Bettstatt hoch. Im flackernden Licht der Fackel erkannte sie den Jungen, der immer das Essen brachte. Doch ihm folgte ein weiterer Mann, den Isabella nicht kannte. Mathilda hatte sich ebenfalls erhoben und starrte entsetzt zur Tür. Der späte Besuch konnte nichts Gutes bedeuten.
»Hier ist sie«, flüsterte Patrick und versuchte, mit der Fackel den Raum auszuleuchten.
»Kommt hierher, Isabella«, sagte der Mann.
»Wer seid Ihr?«, fragte sie ängstlich.
»Ich will Euch helfen, aber Ihr müsst leise sein.«
»Warum wollt Ihr mir helfen? Und wieso sagt Ihr nicht Euren Namen? Ich werde mich nicht vom Fleck rühren! Und wenn Ihr Euch mir nähert, schreie ich.«
»Hattest du nicht gesagt, sie sei freundlich?«, fragte Rudolf seinen Knappen und blickte zu Isabella.
Entschlossen schob Mathilda sich vor ihre Herrin. »Ich schütze sie mit meinem Leben!«, rief sie aufgebracht.
»Da ist ja noch eine«, wunderte sich Rudolf. »Das hast du mir auch verschwiegen. Patrick, in was für eine Situation hast du mich da gebracht?«
»Das ist doch nur die Zofe«, erwiderte Patrick.
»Mist! Wir können sie nicht allein hier lassen. Sie schreit die ganze Burg zusammen.«
»Ganz
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