Der Kuss des Wolfes: Roman (German Edition)

in seiner Nähe an, das die anderen nicht sehen konnten. Einen Moment später spähte er wieder nach unten, legte eine Hand auf das steinerne Geländer – und sprang in die Tiefe, wobei er einen monotonen Gesang anstimmte.
    Kelly taumelte nach Luft schnappend zurück und prallte gegen Koranen, der sie bei den Ellbogen packte. Morganen landete hinter seinem Onkel auf der Plattform, die gefährlich zu schwanken begann. Dann stabilisierte sie sich wieder, aber nur einen Augenblick lang, denn plötzlich schoss ein irisierender Lichtstrahl aus Morganens Körper.
    In dem Moment, wo er die anderen im Raum berührte, begann sich die Welt zu drehen. Das dämmrige Innere der Donjonhalle wich dem verhangenen, aber hellen Himmel über der westlichen Bucht. Drei Dinge ereigneten sich unmittelbar nacheinander: Wolfer, Saber, Trevan und Rydan schrien auf, da sie nicht länger vom Boden der Halle und auch nicht von dem hölzernen Dock getragen wurden wie die anderen, sondern klatschend im Wasser landeten; eine Eule flatterte von einem nahe gelegenen Baum zu ihnen hinüber und ließ sich auf einem Pfahl ganz in Evanors Nähe nieder, und Broger stieß Morganen mit einem Fluch und einem magischen Blitz von der Plattform.
    Der Stoß bewirkte, dass Morganen über den Rand des Docks hinwegflog und gleichfalls im salzigen Wasser landete. Jetzt standen nur noch Koranen, Evanor und Kelly auf festem Boden und sahen Broger an, der über dem in die Planken eingebrannten Runenkreis schwebte. Der Leichnam seines Bruders baumelte gefährlich weit über den Rand der Metallplatte.
    Morganen tauchte aus den Wellen auf und keuchte einen Befehl. »Kor! Setz die Runen in Brand!«
    Koranen blinzelte, dann schüttelte er den Kopf und streckte einen Arm aus. Flammen züngelten aus dem Holz auf und umgaben Broger mit tanzendem gelbem Licht, ohne ihm jedoch Schaden zuzufügen. Dieser schnaubte verächtlich. »Was wollt ihr damit bewirken? Diese Runen sind nicht dazu da, um mich zu umschließen!«
    »Das nicht«, bluffte Kelly. »Sie dienen mir dazu, dich zu vernichten.« Sie zog den Spiegel hinter ihrem Rücken hervor, hielt ihn ein Stück von sich ab und begann zu singen: »Abrakadabra, Walla Walla, Hokuspokus fidibus! Copperfield, Blackstone, Telemus … und du wirst gleich …«
    » Fasherwol! «
    Schwarze Energie flammte zwischen ihnen auf. Kelly zuckte zusammen, als Brogers Angriff den Spiegel traf. Im selben Moment wurde die Magie zu ihm zurückgeleitet. Sie traf seinen linken Arm, bewirkte aber nur, dass die Muskeln kurz erschlafften. Der Spiegel zersprang, Kelly kreischte auf und umklammerte ihre blutende Hand. Broger versuchte auf seiner schwankenden Metallplattform das Gleichgewicht wiederzuerlangen. »Ist das alles, was ihr zu bieten habt?«
    Die Miene des Wasser tretenden Morganen verfinsterte sich. Sie mussten den Bastard dazu bringen, tödliche Magie einzusetzen. Leider fiel ihm nur Eines ein, womit er ihn im Moment reizen konnte. »Lehrling! Gib dich zu erkennen!«
    »Nein!«, protestierte Wolfer. »Ich habe doch noch den Spiegel!«
    Es war zu spät, die Eule löste sich bereits von dem Pfahl und verwandelte sich in ihre natürliche Gestalt zurück, als sie neben Evanor landete. Broger starrte seine Nichte fassungslos an.
    »Hallo, Onkel«, begrüßte ihn Alys mit ausdruckslosem Gesicht, aber ihre Stimme triefte vor Abscheu und Verachtung. Genau hierauf hatte Kelly sie vorbereitet: ihrem verhassten Verwandten mutig entgegenzutreten, obwohl sie keine Möglichkeit hatte, sich zu schützen. »Du bist genauso fett und kahl wie eh und je, wie ich sehe.«
    »Unverschämte Kröte!«, herrschte sie der alternde Magier an. »Ich frage mich, warum sich deine magischen Fähigkeiten mir nicht offenbart haben, als alle meine Zauber mir deinen Tod meldeten. Deinen angeblichen Tod – ein Versehen, das ich korrigieren werde. Skaren skaroth! «
    Eine Lichtklinge löste sich aus seiner Hand. Morganen ballte die Fäuste und vergaß dabei fast, Wasser zu treten, Wolfers Augen weiteten sich vor Entsetzen, ebenso wie die seines Zwillings. Evanor schob sich blitzschnell zwischen Broger und sein Opfer. Ein einzelner, vibrierender Ton, und seine Magie bildete eine durchsichtige flexible Wand, von der der Tod bringende Zauber abprallte und zu Broger zurückgeschleudert wurde.
    Dem älteren Magier blieb gerade noch Zeit, die Augen aufzureißen und zu versuchen, eine Hand zu heben, um sich mit einem Schutzschild zu umgeben, aber er hatte zu spät reagiert. Die Klinge