Der Kuss des Wolfes: Roman (German Edition)
Namens zu einer Lüge zu greifen. Wenn ihr Onkel Donnock je von ihrem Besuch hier erfuhr, würde Onkel Broger unerbittlich Jagd auf sie machen. »Analia«, schwindelte sie. »Ich bin hier hereingekommen, weil ich meinen Onkel draußen auf der Straße gesehen habe, aber ich konnte nicht durch die Küche fliehen, weil der Koch mich angeschrien hat, und da war mein Onkel schon im Schankraum, also rannte ich nach oben und flüchtete mich hier herein, aber dann kamst du, und ich musste mich verstecken, und ich … und du …«
Sie vermochte den Satz nicht zu Ende zu bringen. Die Dirne zog eine dunkelbraune Braue hoch und musterte sie. »Analia, wie? Dann sag mir doch, warum du solche Angst hast, dass dein Onkel dich sehen könnte. Wovor hast du dich so gefürchtet, dass ein Unschuldslamm wie du lieber in ein Freudenhaus läuft, als ihm zu begegnen?«
Der freundliche Klang in ihrer Stimme war der erste Anflug von Sympathie, der Alys entgegengebracht wurde, seit sich die Dienstboten von Corvis voller Bedauern von ihr verabschiedet hatten. »Ich bin von zu Hause fortgelaufen«, bekannte sie. »Mein Onkel ist ein grausamer, hartherziger Mann, und wenn er mich sähe, würde er mich in magischen Fesseln nach Hause schleifen, und ich müsste einen fetten, stinkenden, achtundsechzigjährigen Lüstling heiraten, weil ich noch Jungfrau bin und mein Onkel viel Geld für mich erzielen will.«
Cari zwinkerte, ließ den Blick durch den Raum schweifen, während sie nachdachte, dann nickte sie. »Das ergibt einen Sinn. Und da konntest du dich natürlich nur unter dem Bett oder im Schrank verstecken – aber warum hast du die Tür nicht zugemacht?«
»Ich wollte kein Geräusch verursachen, das mich verraten hätte«, gab Alys zu, die froh war, dass die Frau sie nicht anschnauzte oder einen großen Aufstand machte. »Und ich wollte euch auch nicht beobachten, aber da war so wenig Platz … und irgendwie brachte ich es nicht fertig, die Augen zu schließen – hat es dir wirklich gefallen ?«, fragte sie geradeheraus. »Hat es tatsächlich Spaß gemacht?«
Die Dirne lachte. »Lass mich nur schnell die Tür zumachen, Herzchen.« Sie stand auf, durchquerte den Raum, schloss die Tür, kam dann zurück und zog sich einen Stuhl heran. »Hast du einen Silvara?«
Alys schüttelte den Kopf. »Nur ein einziges Goldstück«, log sie. Sie hielt es nicht für ratsam, dieser Frau oder sonst irgendjemandem zu verraten, wie viel Geld sie tatsächlich in der Schärpe in ihrem gebündelten Umhang bei sich trug. »Aber ich bin auf dem Weg zu einem Freund, daher brauche ich nicht viel Geld.«
Cari stand wieder auf, ging zum Schrank, hob ein Stück der Bodenplatte an, beugte sich darüber und entnahm scheinbar einem Geheimversteck irgendetwas, dann schloss sie das Fach wieder. Sie kam zu Alys zurück und hielt ihr neun Silbermünzen hin. »Neun Silvaras. Gib mir dein Goldstück, dann beantworte ich dir eine Stunde lang alle Fragen, die du hast, wenn du so unschuldig bist, wie ich denke. Ich erzähle dir alles, was dir deine Mutter schon längst hätte erklären müssen – wie alt bist du? Zweiundzwanzig?«
»Vierundzwanzig. Meine Eltern starben vor zehn Jahren. Ich bin bei meinem Onkel großgeworden.« Alys beäugte die Münzen, entrollte ihren Umhang seufzend gerade so weit, dass sie eine Hand hineinschieben und ein Goldstück herausfischen konnte, das sie gegen die Silvaras eintauschte. »Ich … ich würde wirklich gern einige Dinge wissen. Fühlt es sich tatsächlich so gut an, wie es bei dir ausgesehen hat?« Sie verstaute die Münzen und rollte Schärpe und Umhang wieder zusammen.
Cari, die Alys auf ungefähr sechsundzwanzig schätzte, drehte den Stuhl herum, ließ sich breitbeinig darauf nieder und schlang die Arme um die Lehne. »Herzchen, ich bin eine Hure. Das heißt, ich verdiene mir damit meinen Lebensunterhalt. Manchmal fühlt es sich gut an, wenn der Mann weiß, was er tut und einfühlsam ist oder wenn ich in der richtigen Stimmung bin, aber meistens ist es ganz einfach nur Arbeit.
Manchmal erschauere ich oder stöhne oder stoße kleine Schreie aus«, fügte sie dramatisch hinzu, strich über ihren tiefen Ausschnitt und klimperte mit den Wimpern, was Alys ein kleines Lächeln entlockte. »Aber nur, damit die Kunden sich großartig vorkommen – immerhin muss ich meine Kunden zufriedenstellen, sonst kommen sie nicht mehr wieder, und sie halten sich alle für Katas beste sterbliche Liebhaber. Jinga allerdings weiß, dass die meisten von
Weitere Kostenlose Bücher