Der Kuss des Wolfes: Roman (German Edition)
inzwischen längst fort war. Aber Alys dachte vor allem an einen ganz bestimmten Mann und dann an alles, was sie gelernt hatte. Und dann empfand sie das kribbelnde Gefühl, das die professionelle Dirne als Begierde beschrieben hatte.
Wolfer of Corvis.
Ja, wenn Alys sich Wolfer als den Besitzer der auf das Papier gezeichneten Körperteile vorstellte, verspürte sie zweifellos einen Stich der Begierde.
Jetzt verzehrte sie zum Preis von ein paar Kupferstücken in der Küche der Schänke eine Mittagsmahlzeit. Sie saß mit Cari, die gleichfalls eine Kleinigkeit aß, an einem Tisch. Alys erschauerte bei dem Gedanken daran, wie Wolfers nackter Körper wohl aussehen mochte. Sie hatte ihn erst als Jungen, dann als jungen Mann an heißen Tagen ohne Hemd gesehen, aber nie ohne Hose. Cari hatte ihr gesagt, jeder Mann wäre anders gebaut; einige hätten leicht gebogene Geschlechtsteile, andere gerade, einige dicke, andere dünne, einige längere, andere kürzere. Manche wären stark behaart, andere spärlicher, und wenn sie dunkles Haupthaar hatten, dann waren sie weiter unten definitiv auch dunkel …
Bei Kata.
Nur über Wolfers Äußeres nachzudenken ließ ihren Atem schneller gehen und löste in ihrem Inneren ein Prickeln aus. Vermutlich war das das Gefühl, das Cari als Verlangen bezeichnet hatte. Erst zog sich ihr Magen zusammen, dann wurde ihr heiß, dann fühlte sich die Stelle zwischen ihren Beinen an, als würde sie feucht, und begann sogar ein wenig zu schmerzen. Zwinkernd widmete sich Alys wieder ihrer Schale mit Eintopf.
»Kommst du zurecht, Herzchen?«, fragte Cari, als Alys den Becher Wasser leerte, den der Koch ihr eingegossen hatte. »Ist es weit bis zum Haus deines Freundes?«
»Nicht sehr weit, danke. Ich bin mir ziemlich sicher, dass mein Onkel inzwischen gegangen ist«, fügte sie hinzu.
»Geh trotzdem sicherheitshalber zur Hintertür hinaus. Und benutz die Abtrittkammer dort drüben. Manchmal greifen sich die Männer hier einfach ein Mädchen und zerren es nach oben, ohne vorher zu fragen, ob sie wirklich hier arbeitet«, fügte Cari in ihrer freimütigen Art hinzu. Sie stand auf, dann hielt sie nachdenklich inne. »Ich nehme an, du weißt nicht, was aus dem Jungen geworden ist, den du damals geküsst hast?«
Alys errötete. »Ich … äh … ich bin auf dem Weg zu ihm und seiner Familie, um ehrlich zu sein.«
»Na, dann kannst du ihn ja vielleicht noch einmal küssen und sehen, ob es dir immer noch gefällt. Vergiss nur nicht, dir vorher so ein Amulett zu besorgen, wie ich es trage.« Wieder streckte Cari einen mit einem Slipper bekleideten Fuß vor. »Am besten in Glythas Laden. Wenn du aus dem Haus kommst, gehst du links bis zur nächsten Querstraße, dann biegst du rechts ab. Der Laden liegt auf der rechten Seite. Geh die Außentreppe hoch, und frag nach Glytha. Und sag ihr, ich hätte dich geschickt, dann überlässt sie dir ein hochwertiges Amulett zu einem Sonderpreis – aber versuch, nicht rot zu werden«, fügte die andere Frau augenzwinkernd hinzu. »Sonst glaubt sie dir nicht.«
»Danke.«
»Keine Ursache, Herzchen. Ich wünsche dir und diesem Jungen alles Gute. So, und jetzt muss ich wieder an die Arbeit.«
»Ich … ich hoffe, du hast noch viel Spaß dabei«, bemerkte Alys kühn.
Cari ging lachend zur Tür hinaus, wobei sie die Hüften so schwenkte, wie sie es Alys kurz zuvor gezeigt hatte. Verführungskünste waren ein Bestandteil ihres Unterrichts gewesen. »Das werde ich, Herzchen.«
Alys fand Glythas Laden auf Anhieb, denn er lag auf dem Weg zum Hafen. Sie blickte zu der Treppe und der dahinter liegenden Tür hinüber und ging dann weiter. Zwei Blocks später machte sie kehrt, blieb erneut am Fuß der Treppe stehen und stieg dann entschlossen hinauf. Dabei setzte sie die teilnahmslose Miene auf, die sie ihrem Onkel gegenüber so lange an den Tag gelegt hatte – die emotionale Disziplin, die sie sich anerzogen hatte, um Brogers Perversionen und seiner Tyrannei zu entgehen, würde verhindern, dass ihr das Blut in die Wangen stieg.
Sie war jetzt selbst für ihr Leben verantwortlich, und eine Frau sollte erst dann eine Familie gründen, wenn sie wirklich dazu bereit war, wie ihr ihre kurzfristige Freundin eindringlich eingeschärft hatte. Und es gab mehr als einen Grund, eine Schwangerschaft gerade jetzt zu vermeiden … und keine Garantie dafür, dass das Amulett unter ihrem Hals den wichtigsten überhaupt vollkommen ausschaltete. Es war mit einem Zauber auch gegen diese
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