Der Kuss des Wolfes: Roman (German Edition)
einsetzt«, betonte Alys. »Er hat mir gegenüber einmal damit geprahlt, als einer seiner Rivalen einen gedungenen Mörder auf ihn angesetzt hat. Der Mann hat ihm ein Messer in den Rücken gestoßen … und wurde von der Schutzmagie, die Onkel Broger umgab, buchstäblich in Stücke gehackt. Onkel sagte wortwörtlich: ⊃Weder ein Zauberspruch noch ein von der Hand eines Feindes geführtes Schwert kann mich niederstrecken, ohne dass mein Zorn den Täter anschließend vom Antlitz dieser Welt tilgt⊂.« Sie verschränkte erschauernd die Arme vor der Brust. »Ich wage mir gar nicht auszumalen, was geschehen würde, wenn jemand ihm in einem offenen Kampf entgegentritt.
Ich habe einmal erwogen, seine eigenen Bestien auf ihn zu hetzen, weil ich dachte, seine Magie würde sich dann gegen sie richten und nicht gegen mich, aber das verhindert ein weiterer Zauber. Während er sich von der Messerwunde erholte, hat er mir meine Lebensenergie aus dem Körper gezogen. Nicht nur mir, sondern auch Onkel Donnock und Vetter Barol – seinem eigenen Sohn! – aber hauptsächlich mir.« Sie drehte den linken Arm auf den Rücken und presste ihn auf die Stelle, wo das Messer ihren Onkel getroffen hatte. »Ich habe fast einen Monat unter Phantomschmerzen gelitten, obwohl seine Wunde innerhalb weniger Tage verheilt ist.«
Rydan richtete sich auf, dann blickte er im Mondlicht nachdenklich auf sie hinab. »Wenn das der Wahrheit entspricht …«
Ihre Finger rieben durch den Stoff ihrer Tunika über den silbernen Stern in ihrem Brustbein. »Ich wünschte, das wäre nicht der Fall. Ich wage nicht … ich wage nicht, schwanger zu werden, solange er noch am Leben ist. Ich fürchte, er könnte mich mit Zaubern belegen, die meinem Kind jegliche Macht entziehen, über die es vielleicht verfügt. Der Schutzzauber, den Morganen verhängt hat, beschützt nur mich vor seiner Magie.« Düster starrte sie über die schimmernde Wasseroberfläche hinweg. »Manchmal denke ich, es wird mir nie gelingen, mich von ihm zu befreien, wirklich frei zu sein, meine ich.«
»Ich weiß.«
Eine Weile verharrten sie so; Alys saß am Rand des Docks, Rydan stand wie ein dunkler Wachposten neben ihr. Beide sprachen kein Wort mehr. Kurz darauf, als Schwester Mond tiefer zum Horizont hinabstieg, wandte er sich ab und huschte davon. Einen Moment später drehte Alys sich um, um ihm nachzublicken, und stellte fest, dass er bereits verschwunden war. Sie konnte noch nicht einmal mehr seine Schritte hören.
Sie drehte sich wieder zum Meer und starrte erneut in ihre alles andere als glücklichen Gedanken versunken über das Wasser hinweg.
»Du bist ein Idiot.«
Wolfer schrak zusammen, fuhr herum und löste den Finger von dem geflochtenen Armband an seinem Handgelenk. Mit schmalen Augen hielt er nach der Quelle der Beleidigung Ausschau und fand sie in den bleichen Händen und dem blassen Gesicht des sechstgeborenen Corvis-Sohnes. Einmal mehr war es seinem jüngeren Bruder gelungen, sich geräuschlos an ihn heranzuschleichen. »Ich hasse es, wenn du dich so anschleichst!«
Rydans Lippen krümmten sich zu einem seltenen Lächeln. »Ich weiß. Und du bist trotzdem ein Idiot.«
»Das weiß ich selbst.« Er wusste es in der Tat. Wolfer hatte sich in den Dschungel zurückgezogen, um seinen Zorn unter Kontrolle zu bekommen, aber der Dschungel erinnerte ihn an sie, daran, wie er sie gelehrt hatte, ihre Gestalt zu verändern und die Wonnen auszukosten, die ihre Körper einander bereiten konnten. Also hatte er sich in die Kapelle geflüchtet, in der sein Zwilling vor nicht allzu langer Zeit getraut worden war. Die Blumengirlanden waren längst entfernt worden. Er betrachtete die polierten, mit Marmoreinlegearbeiten verzierten Granitsäulen. Die Hälfte des Raumes lag im Schatten, der Rest wurde von dem fahlen silbrigblauen Licht von Bruder Mond, der über die Gipfel der Bergkette im Osten spähte, und dem ebenso fahlen letzten Schimmer von Schwester Mond im Westen erleuchtet. Er hatte gehofft, diesen geweihten Ort für seine eigene Hochzeit neu dekorieren zu können, aber jetzt war er sich nicht mehr sicher, wann diese stattfinden würde.
Es war nicht so, dass er Alys nicht mehr heiraten wollte. Er musste sich nur vorher dafür entschuldigen, dass er so übereilt aus der Halle gestürmt war, und diese Entschuldigung musste mit einer Erklärung einhergehen. Wolfer war zu dem Schluss gekommen, dass er ihr alles, was sie in der sogenannten ⊃Obhut⊂ ihres Onkels hatte tun müssen,
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