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Der Kuss des Zeitreisenden (German Edition)

Der Kuss des Zeitreisenden (German Edition)

Titel: Der Kuss des Zeitreisenden (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Susan Kearney
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herrührte, wie sie sich zumindest einredete.
    »Jetzt.« Jordan ließ sie los, und für eine Sekunde biss der Wind aus jeder Richtung in sie hinein.
    Dann verwandelte sie sich. Ihre Kleider zerrissen. Ihre Drachenhaut wurde dicker und schützte sie auch gegen die Kälte. Ihre Sehkraft nahm zu und ihre Knochen bildeten eine wabenartige Struktur aus, die es ihr erlaubte, die Flügel zu spreizen. Zwar verlor sie ihren überragenden menschlichen Verstand, aber dafür wurde sie stärker. Sie versuchte nicht zu fliegen. Sie senkte den Kopf, presste die Schwingen an den Körper und tauchte mit ihrem massigen Körper auf das Auge zu, das in dem Wirbelsturm unter ihr allmählich deutlich erkennbar geworden war.
    Ziel auf das Zentrum , befahl ihr Jordan auf telepathischem Weg.
    Natürlich . Drachen besaßen keine Stimmbänder, konnten aber einfache Gespräche durch Telepathie führen. Selbst wenn diese Welt voller Drachen gewesen wäre, hätte sie Jordans feste, beherrschende und wütende geistige Signatur so deutlich erkannt wie seine Stimme.
    Er selbst hätte zwar mit seiner größeren Körpermasse und seinen stärkeren Muskeln einen steileren Abstieg ausgehalten, doch breitete er jetzt die Flügel aus und verlangsamte so seinen Fall. Sie vermutete, er werde sie später dafür verantwortlich machen, dass sie ihn aufgehalten hatte. Doch sie hatte ihn nicht darum gebeten, auf sie zu warten.
    Als sie das wirbelnde weiße Wolkensystem des oberen Auges erreicht hatten, veränderte sich der Luftdruck, und der Wind kam nun in Stößen, die sie durchschüttelten. Sie öffnete die Schwingen ein wenig und versuchte sich zu stabilisieren. Hauptsächlich ritt sie aber auf den Luftströmungen.
    Vorsichtig . Er drängte sie von den Wänden des Auges weg.
    Es geht mir gut.  
    Bleib so .
    Der Wind schoss seitlich an ihnen vorbei, und sie spreizte die Flügel weiter, damit sie gleichmäßiger fliegen konnte. Ein gewaltiger Luftzug nach unten hätte sie beinahe auf den Rücken geworfen. Sie glich nach rechts aus, dann nach links, hätte sich beinahe überschlagen und fand schließlich das Gleichgewicht wieder.
    Sie spähte durch das Auge auf die steilen, vereisten Klippen, die das Festland bedeckten. Tief unter ihr wirbelte der Blizzard so viel Schnee auf, dass an manchen Stellen außer der Farbe Weiß überhaupt nichts anderes zu sehen war.
    Beeilung . Jordans Sorge drang gemeinsam mit seinen Gedanken in sie ein.
    Sie verstand seine plötzliche Angst nicht, bis sie unmittelbar nach unten blickte. Die Wand des Auges, an der die Winde am heftigsten tobten, fuhr über die Felsklippen wie ein Gletscher. Hausgroße Bretter aus Schnee und Eis brachen von der Oberfläche ab. Wenn ein solches Stück sie traf, würde es wehtun. Sehr wehtun.
    Sie drückte die Flügel enger an ihren Körper, kniff die Augen vor dem Schnee zusammen und sank tiefer. Auf den letzten tausend Fuß übernahm Jordan die Führung.
    Sie flog unmittelbar hinter ihm und bemerkte, wie ein Eisbrocken auf sie zuschoss. Rechts von dir , warnte sie ihn gerade noch.
    Er wich aus, und sie folgte ihm, während Felsbrocken von der Größe ihres Lexus sowie schwarze Eiszapfen, die so gewaltig waren, dass sie tödlich wirken konnten, an ihnen vorbeischwirrten.
    Nun befanden sie sich im Blindflug. Durch den dichten Schnee konnten sie den Boden unter ihnen nicht erkennen. Vivianne vermochte nicht einmal mehr ihre eigenen Schwingen zu sehen.
    In diesem Augenblick kam sie zu der Erkenntnis, dass in der Hölle kein glühend heißes Feuer brennen, sondern schreckliche Kälte und Totenweiß herrschen mochten.
    Sie hielt ihre Schnauze dicht hinter Jordans Schweif, damit sie ihn in den Eiseswirren nicht verlor. Dann spürte sie – noch bevor sie ihn sehen konnte – , dass sie sich dem Boden näherten. Sie fuhr die Beine aus und machte sich zur Landung bereit. Der Wind tobte ihr entgegen. Sie taumelte und rollte über Eis und Schnee. Ein Eisbrocken bohrte sich ihr ins Bein, ein weiterer prallte gegen ihren Flügel. Aber schließlich überschlug sie sich nicht mehr und kam endlich schlitternd zum Stillstand. Sie kauerte sich gegen den starken Wind, spuckte Schnee und Kieselsteine und hatte einen bitteren Geschmack im Maul.
    Jordan?  
    Alles in Ordnung? Er ragte hinter ihr auf.
    Hoffentlich hatte er ihre unbeholfene Landung nicht sehen können. Sie durfte von Glück sagen, dass sie sich nicht das Genick gebrochen hatte. Oder das Bein. Was für eine großartige Hilfe wäre sie gewesen, wenn sie

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