Der Kuss Im Kristall
diesem Moment war es ihm gleichgültig, dass sie den Behörden gesagt hatte, wo er zu finden war. Mit einem Lächeln würde er dem Henker entgegentreten, wenn er sie nur noch ein Mal haben und hören könnte, wie ihr seufzend sein Name über die Lippen kam. Aber nicht hier. Er wollte sie nicht mit diesem Schmutz in Verbindung bringen, und nicht, wenn der Wärter sie beobachtete.
Sie raffte die Röcke, um sie vor dem schmutzigen Boden zu schützen, und fragte: „Wie konnten sie dich finden? Du bist doch nicht ins Hotel zurückgekehrt, oder? Oh, ich hätte bleiben sollen.“
Spielte sie die Ahnungslose? „Ich habe dir eine Nachricht hinterlassen, Alethea.“
Sie runzelte die Stirn. „Ich war seit gestern Nacht nicht mehr im Salon.“
„Woher weißt du dann, dass man mich verhaftet hat?“
„Lord Barrington hat Lord Kilgrews Posten übernommen. Heute Morgen schickte er Tante Grace eine Nachricht. Aber woher hatten sie die Information, wo du zu finden bist? Wer wusste, wo du dich aufhieltest?“
Er zögerte, dann sagte er: „Doogie wusste es. Und du.“
„Ich? Ich wusste nicht, wo du warst, McHugh. Du wolltest es mir nicht sagen.“
„Es stand in der Nachricht.“
Sie schüttelte den Kopf, als wollte sie seine stumme Anklage abwehren.
Erwartete sie von ihm, dass er ihr glaubte? Konnte er ihr glauben? „Mein eigener Bruder war es nicht, Alethea“, erklärte er. „Ich habe dir schon vorher versichert, dass Doogie nicht fähig zu einem Mord ist. Er würde mich nicht dem Henker ausliefern.“
„Ebenso wenig wie ich! Da muss noch jemand sein.“ Sie wirkte so beunruhigt und ernst, dass er ihr glauben wollte. Aber wer sonst hatte Kenntnis davon gehabt, wo er sich versteckte? Entweder hatte sie ihn verraten oder Doogie.
„Warum bist du dann hier?“
Sie machte einen Schritt in Robs Richtung, als würde er ihr vertrauen, wenn es nicht diesen Abstand zwischen ihnen gab. „Heute Nachmittag wird Lord Barrington Grace besuchen. Und ich kann dir helfen. Ich werde ihm mitteilen …“
„Nein.“ Rob hustete. Die kalte Feuchtigkeit begann, ihre Wirkung zu zeigen. „Sag ihm nichts, Alethea.“
„Aber ich war bei dir, als Lord Kilgrew ermordet wurde. Ich werde ihnen sagen, dass wir beobachteten, wie jemand Lord Kilgrews Haus betrat und wieder verließ, und dass er ein blutiges Halstuch von der Westminster Bridge warf. Wenn ich das bezeuge, müssen sie dich freilassen.“
„Ein blutiges Halstuch mit meinen Initialen darauf?“ Er lachte. Er würde nicht gestatten, dass sie sich umsonst opferte. „Sie würden dir niemals glauben. Nein, Alethea. Ich verbiete es! Es ist nicht nur Kilgrew. Sie klagen mich auch für die anderen Morde an.“
„Aber sie haben keinen Beweis.“
Er zog ihren Umhang von seinen Schultern und reichte ihn ihr zurück, ehe er so voller Läuse war wie das Stroh in der Ecke. „Die Rabenknöpfe, Alethea. Livingston, Fengrove und all die anderen. Der einzige Mord, von dem sie nichts wissen, ist der an Madame Zoe, weil du sie gefunden und es verheimlicht hast. Aus Eloises Haus habe ich den Knopf mitgenommen, aber auch ihren Tod macht man mir zum Vorwurf.“
„Du kannst nicht erwarten, dass ich nichts tue, während du hier bist! Selbst wenn ich keine Ahnung davon hätte, wie sehr du darunter leidest, Rob! Selbst wenn ich es nicht in deinen Augen erkennen könnte!“
Er musste ihr begreiflich machen, was sie riskierte. „Ich begreife. Dann wirst du ihm sagen, dass Madame Zoe deine Tante war und dass sie ermordet wurde und du aus persönlichen Gründen nicht die Behörden benachrichtigt hast? Und dass du nach der Ermordung von Eloise Enright mir deine Jungfräulichkeit schenktest? Und dass wir während Kilgrews Ermordung zusammen in Londons Straßen unterwegs waren? Und ich mich danach nackt in deinem Salon aufhielt? Nichts von dem kann geheim bleiben, Alethea. Wenn es dir gelingt, mich mit dieser Information freizubekommen, so wird das bei Brandy und Zigarren in jedem Londoner Club besprochen. Wenn man mich vor Gericht bringt, wirst du als Zeugin geladen werden, und jeder in London wird durch die ‚Times‘ von deinen intimsten Geheimnissen erfahren. Was würde das für Dianthe und Bennett bedeuten? Ist es das, was du dir für sie wünschst?“
Sie schüttelte den Kopf und sah ihn verzweifelt an.
In ihren schönen blauen Augen schimmerten Tränen, und er verstand ihr Dilemma. In den vergangenen Jahren hatte sie nur für die Pflichten gegenüber ihrer Familie gelebt, aber ihr
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