Der Kuss Im Kristall
nichts ausmacht, allein zu sitzen, könnten Dianthe und ich auf dich verzichten, da bin ich sicher.“
Alethea sah sie dankbar an. Grace war aufmerksamer, als sie erwartet hatte. Sie ließ sich auf einem Stuhl in der letzten Reihe nieder. Innerhalb weniger Minuten hatten Hortense und Harriet ihre Plätze auf dem Podest eingenommen. Mr. Thayer klatschte in die Hände, um die Gäste um Ruhe zu bitten.
Alethea bemerkte McHugh weiter hinten im Raum. Er stand mit einer Schulter an die Tür gelehnt, als wäre er nicht sicher, ob er bleiben wollte. Hortense spielte ein paar Akkorde auf dem Pianoforte, dann begann das Konzert.
Es dauerte nicht lange, bis McHugh an Aletheas Stuhl vorbeiging und sie an der Schulter berührte. Gleich darauf war er fort. Alethea zählte lautlos bis zehn, unterdrückte ein Husten und erhob sich. Dann hustete sie noch einmal auf dem Weg zur Tür, für den Fall, dass sich jemand über ihr Weggehen wunderte.
Sie hastete den Korridor entlang und fragte sich, wo er wohl auf sie warten mochte. „McHugh?“, flüsterte sie.
Als sie am Salon vorüberkam, packte er sie plötzlich am Arm und zog sie weiter in den Raum hinein. Erregung erfüllte sie, und sie lächelte. Dann blieb er so abrupt stehen und wandte sich herum, dass sie gegen ihn stieß. Eine ganze Weile blickte sie in seine grauen Augen. Schon bevor er den Kopf neigte, wusste Alethea, dass er sie küssen würde. Ohne sich darum zu kümmern, ob sie entdeckt werden konnten oder nicht, stellte sie sich auf die Zehen, reckte sich ihm entgegen und schmiegte sich an seine Brust.
Er bedeckte ihren Mund mit seinen Lippen, tastete mit seiner Zunge nach ihrer, voller Verlangen. Nein! Keine Aufdringlichkeiten diesmal. Dies war wilde, süße Leidenschaft. Dies weckte das Feuer in ihrem Blut. Das war der Grund, warum sie Sir Martin niemals heiraten würde.
McHugh stöhnte und hielt sie ein Stück von sich weg. „Deine Nähe ist gefährlich, Alethea. Was dich betrifft, besitze ich keinerlei Willenskraft.“
Alethea seufzte. Sie hatte ebenfalls den Eindruck, keine Willenskraft zu besitzen. Aber sie besaß genug Stolz, um nicht die Zweitbeste sein zu wollen. Sie räusperte sich, strich ihr Kleid glatt und versuchte, sich zu fassen. „Du bist heute nicht zum Salon gekommen.“
„Nein, ich suchte Martin Seymour. Ich bin ihm den ganzen Tag dicht auf den Fersen gewesen. Gerade eben noch sah ich ihn mit dir zusammen, aber jetzt ist er nirgendwo zu finden. Hat er dir gesagt, wohin er geht?“
Alethea schüttelte den Kopf und schob das Thema Sir Martin mit einer Handbewegung beiseite. „Es ist möglich, dass Mr. Fengrove dich anspricht und sich bedankt. Ich sagte ihm, du hättest nach ihm gefragt.“
„Warum?“
„Ich brauchte einen Grund, um ihn auszuhorchen. Sein Name stand auf der Liste von Tante Henrietta.“
McHugh war nachdenklich geworden. „Hmm.“
„Und das ist noch nicht alles. Ich muss dich warnen. Lord Barrington war heute früh in Tante Graces Haus, um mir Fragen über dich zu stellen. Und über unsere – Freundschaft.“
McHughs Miene wurde unergründlich. „Tatsächlich? Was wollte er wissen?“
„Er erkundigte sich, ob ich dir letzte Nacht begegnet bin.“
„Was hast du geantwortet?“
„Ich habe es vermieden, konkret zu werden. Er erzählte mir von Lord Kilgrew, und ich fragte, ob er glaubt, dass du etwas damit zu tun hast. Er erklärte, die Umstände seien ungünstig für dich, und dass das Gerücht kursiert, du – du hättest den Verstand verloren.“
„Der irre McHugh“, rief er beinahe amüsiert. „Soll diese Farce dahin führen?“
„Ich weiß nur, dass er mit dir sprechen will, und er bat mich, ihn über dich auf dem Laufenden zu halten.“
„Wirst du es ihm erzählen, Alethea?“
„Das – das hängt von dir ab, McHugh. Willst du, dass ich es tue?“
„Nein. Ich würde niemals zulassen, dass man mir hilft, indem dein Name in den Schmutz gezogen wird. Wenn du in einem Gerichtsprozess aussagen musst, wird die Gesellschaft dich verstoßen.“
Alethea schämte sich, weil sie sich so erleichtert fühlte, aber das Gewissen quälte sie noch immer. „Ich bin dein Alibi, McHugh. Ich bin der Beweis für deine Unschuld. Ich bräuchte nur zu sagen, dass ich bei dir war und dass du in der vergangenen Nacht nicht in diesem Haus warst.“
„Wenn sie dich nicht der Lüge bezichtigen, weil du deinen Liebhaber schützen willst. Wie auch immer, Alethea, dein Geheimnis würde öffentlich werden. In einem Prozess
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