Der Lambertimord
haben. In seinem langen Polizistenleben hatte er schon so ziemlich alles erlebt, als daß ihn noch irgend etwas wirklich aus der Fassung bringen konnte. Besonders die Jahre bei der Sitte hatten ihn geprägt. Damals hatten ihn seine festen Vorstellungen von Moral und Ordnung mehr als einmal vor Schwierigkeiten bewahrt. Sein Klientel hatte es förmlich darauf angelegt, den nicht nur an Dienstjahren noch unerfahrenen Beamten mit speziellen »Aufmerksamkeiten« in Versuchung zu bringen. Aber er war standhaft geblieben, was ihm, in der Rückschau betrachtet, zugegebenermaßen nicht immer leicht gefallen war. Aber er hatte seine noch junge Ehe mit Ria nicht aufs Spiel setzen wollen.
Mit den Jahren kannten ihn die »Damen« in den diversen Clubs und Gaststätten in und um Mönchengladbach und im Kreis Viersen. Sie wußten, daß sie sich auf ihn verlassen konnten. Sein Wort galt, so oder so. Auch die Luden wußten das.
Die Planstelle beim Staatsschutz war seine letzte Station vor der Pensionierung. Er hatte sich versetzen lassen, nachdem vor gut zwei Jahren Unbekannte die Tigerbar in Leuth überfallen und ein Blutbad unter den Prostituierten angerichtet hatten. Auch der Geschäftsführer, der »schöne Jupp«, wie er in der Szene hieß, war erschossen worden. Er hatte Josef Stroer seit vielen Jahren gekannt. Obwohl sie von Gesetzes wegen Gegner waren, mochten sie sich, soweit dies unter den Umständen überhaupt möglich war. Zumindest respektierten sie sich. Josef Stroer war ein Zuhälter der »alten Schule«, dem seine Ganovenehre über alles ging. Nach dem Überfall hatte es geheißen, die Russenmafia wolle auch am Niederrhein das Geschäft mit dem bezahlten Sex übernehmen. Außerdem sagte man den Russen beste Kontakte zu niederländischen und kolumbianischen Drogenbossen nach. In Wahrheit waren die Täter von Leuth bis heute nicht gefaßt worden. Für Peter Beuke war der blutige Überfall, bei dem fünf der acht Anwesenden erschossen worden waren, das Zeichen gewesen, sich versetzen zu lassen.
Sein Kollege trat ungeduldig von einem Bein auf das andere. Peter Beuke stupste ihn mit seinem Ellenbogen an. »Nur die Ruhe, Rolf. Sie wird schon noch aufmachen. Hast du eigentlich den Bericht vom LKA über die neuesten Bewegungen in der Szene gelesen?« Er wußte, daß Rolf Graf es mit dem Lesen der Rundläufe nicht so genau nahm. Papierkram war ihm ein Greuel. Deswegen hatte er es im Laufe seiner Dienstzeit auch nicht sonderlich weit in der Polizeihierarchie gebracht. Was ihn aber auch nicht sonderlich zu stören schien. Graf war in dieser Beziehung eher ein Gemütsmensch.
»Nee, weißt du doch, muß ich noch machen. Ist nachher noch Zeit genug.« Der im Gegensatz zu dem eher rundlichen Beuke hoch aufgeschossene und hagere Graf lehnte sich an die Wand des Hausflures. Aus der Manteltasche zog er ein Päckchen Tabak und begann, sich eine Zigarette zu drehen. »Wie lang soll das denn noch dauern? Die muß doch für uns keinen Schönheitswettbewerb gewinnen. Ich hasse dieses ewige Warten.«
Gerade als er sich mit seinem billigen Einwegfeuerzeug die Zigarette anzünden wollte, hörten sie, wie die Tür entriegelt wurde. Viel hatte die Mutter von Markus Jansen nicht an ihrem Äußeren verändert. Sie hatte immer noch ihren fleckigen Morgenmantel an, und ihre Haare sahen immer noch ungekämmt aus. Peter Beuke hätte nur zu gerne gewußt, was die Frau wohl die ganze Zeit über gemacht hatte und warum sie sie so lange hatte warten lassen. Wortlos deutete die Frau mit einer kurzen Handbewegung in Richtung Wohnungsflur. Graf fluchte leise und steckte Zigarette und Feuerzeug in seine Manteltasche. Mit einem Ruck stieß er sich von der Wand ab und folgte den beiden in die Wohnung.
Der kleine schmale Flur wurde von einer Garderobe fast verstopft. Graf und Beuke mußten sich an den Mänteln und Jacken vorbeidrücken, um zu den fünf Türen zu kommen, die von dem schlecht tapezierten Flur abgingen. In der ganzen Wohnung roch es penetrant nach gekochtem Kohl und altem Schweiß oder etwas Ähnlichem. Jedenfalls schien schon länger nicht mehr gelüftet worden zu sein. Die Frau ging voran ins Wohnzimmer. Den kleinen Raum dominierte eine übergroße braune Ledergarnitur, die vielleicht vor 15 Jahren einmal modern gewesen sein mochte. Davor stand ein niedriger, mit braunen Kacheln belegter Couchtisch, der kaum genug Platz ließ, um an der wuchtigen dunklen Eichenschrankwand vorbei zu kommen. Auf dem Fensterbrett standen ein paar dürre
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