Der Lambertimord
weiterzusprechen. »Markus war als kleines Kind ein lieber Junge. Mein einziger Halt in diesem beschissenen Leben. Das können sie mir glauben. Mein kleiner Sonnenschein, habe ich ihn genannt. Er hat mir zum Geburtstag immer ein Bild gemalt. Ich habe sie alle aufgehoben.« Ihre Stimme klang zärtlich bei dem Gedanken an früher. Sie fuhr sich mit der Hand über die Augen. »Lassen Sie mich doch einfach in Ruhe und gehen Sie. Ich will mit euch Bullen nichts zu schaffen haben.«
»Das geht leider nicht so einfach, Frau Jansen. Wir müssen mit Ihrem Sohn sprechen. Er soll zu einer Gruppe von jungen Leuten gehören,« Beuke versuchte sich vorsichtig auszudrücken, »die nicht ganz einfach sind. Besonders wenn sie etwas getrunken haben, sind die jungen Leute unberechenbar. Sie sollen schon mehrfach am Asylbewerberheim Am Luchtberg gesehen worden sein.«
»Na, und? Das Gesocks gehört nicht hierher. Sollen bloß wieder verschwinden. Wir brauchen die Neger und Fidschis nicht. Die nehmen uns nur die Arbeit weg.«
Beuke kannte diese dummen Argumente zur Genüge. In den vergangenen Monaten waren in Nettetal immer wieder Flugblätter mit denselben dumpfen Texten aufgetaucht. In ihnen wurde ausschweifend das wahre Deutschtum beschworen und die Asylbewerber für die sozialen Mißstände verantwortlich gemacht. Deutschland den Deutschen, hieß es da.
Rolf Graf schien sich endlich an dem Gespräch beteiligen zu wollen. »Das ist nicht so einfach. Viele Menschen sind aus ihren Ländern geflüchtet, weil sie dort um ihr Leben fürchten müssen. Glauben Sie ja nicht, daß es für diese Asylbewerber leicht ist, in einem fremden Land leben zu müssen, ohne die Sprache zu verstehen, ohne die Kultur zu kennen. Allein getrieben von der Hoffnung, eines Tages wieder in ihre Heimat zurückkehren zu können. Stellen Sie sich vor, welche Strapazen und Gefahren sie auf sich nehmen, um ihre Chance und ihren Traum auf ein besseres Leben zu verwirklichen. Wissen Sie, wie viele Menschen ertrinken, wenn ihre überladenen Boote bei schwerer See kentern?« Graf sah von Elisabeth Jansen wieder auf die Gondel.
»Geht mich nichts an. Sollen sie ihre Probleme da lösen, wo sie herkommen.«
Elisabeth Jansen hatte ihren eigenen Standpunkt und war nicht gewillt, den aufzugeben.
Vielleicht brauchte sie ja jemanden, dachte Beuke, der noch tiefer auf der sozialen Leiter stand, um sich selbst nicht eingestehen zu müssen, daß auch sie ziemlich unten auf der Leiter stand. So war es jedenfalls einfacher, die Schuld auf andere zu schieben.
Rolf Graf wurde ungeduldig. »Hören Sie. Ihr lieber Markus wird verdächtigt, einer der Rädelsführer bei den Skinheads zu sein. So sieht das aus. Ihr feiner Junge macht Jagd auf Farbige. Finden Sie das in Ordnung? Finden Sie das in Ordnung, daß er Schwache in Angst und Schrecken versetzt? Kleine Kinder haben Todesangst, wenn die rasierten Glatzen vor dem Wohnheim auftauchen.«
Elisabeth Jansen schwieg stur. Völlig unbeeindruckt fixierte sie einen Punkt außerhalb ihres Wohnzimmerfensters.
»Frau Jansen, wir wollen doch nur Kontakt zu Ihrem Sohn aufnehmen. Vielleicht ist ja alles auch nur ein Irrtum«, versuchte Beuke den Druck aus der verfahrenen Situation zu nehmen. »Bitte sagen Sie uns, wie wir Markus erreichen können.«
Die Frau sah weiter stur aus dem Fenster. Unter ihren Augen saßen tiefe schwarze Ringe.
»Mit wem ist Ihr Sohn am meisten zusammen? Hat er eine Freundin?«
»Markus hat viele Freunde. Soviel ich weiß. Aber ich kenne gerade mal den ein oder anderen Vornamen«, wich sie einer konkreten Antwort aus. »Mein Sohn redet nicht viel mit mir. Ob er eine Freundin hat? Fragen Sie ihn selbst.«
Beukes Stimme wurde ganz leise. »Was ist passiert, daß er nicht mehr Mamas Liebling ist?«
»Männer sind so, wenn sie erwachsen sind.« Elisabeth Jansen zog die Luft hörbar durch die Nase ein und stieß sie kurz und knapp wieder aus.
Elisabeth Jansen mußte hart im Nehmen sein. Beuke wußte nicht, was er noch sagen sollte. Woher nahm die Frau diese Sicherheit? Was hatte sie in ihrem Leben durchmachen müssen, um zu so einem Schluß zu kommen? Der Alltag mit ihrem Ehemann und ihrem Sohn schien sie zu quälen, gleichzeitig akzeptierte sie deren Verhalten wie ein Naturgesetz. Sie mußte in der Vergangenheit ihre Ohnmacht schmerzhaft erlebt haben, um so ihr Schicksal akzeptieren zu können. »Hat Ihr Mann Sie je geschlagen?«
Elisabeth Jansen zuckte unter dem plötzlichen Themenwechsel merklich zusammen.
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