Der Lambertimord
van den Hövel traute seinen Ohren nicht, er war entsetzt. »Das wollen Sie doch nicht im Ernst machen? Schon der Gedanke, daß Sie sie aufgeschnitten haben, bringt mich fast um. Wie lange soll sie denn noch in der Pathologie bleiben? Geben Sie Heikes Körper endlich frei. Damit ihre Seele zur Ruhe kommt. Ich bitte Sie sehr darum.« Die letzten Worte hatte van den Hövel kaum hörbar in den Hörer gesprochen.
Am anderen Ende der Leitung kritzelte Frank gedankenverloren mit einem Bleistift Buchstaben auf die Schreibtischunterlage. L für Lisa und F für Frank.
Dazwischen ein Pluszeichen. Er zog ein Herz drumherum. Mit energischen Strichen übermalte er das kleine Bild und richtete sich auf.
»Sie müssen das verstehen, Herr van den Hövel. Es sind noch nicht alle Untersuchungen ausgewertet. Solange kann ich die Leiche, äh, Heike nicht freigeben. Sie werden sich wohl noch ein paar Tage gedulden müssen. Ich kann Sie ja verstehen. Die ganze Situation ist bestimmt nicht einfach für Sie, das weiß ich.« Frank überlegte kurz. »Sie können die ersten Vorbereitungen für die Beerdigung meinetwegen schon treffen. Das lenkt Sie wenigstens ein bißchen ab.« Frank malte wieder ein L und ein F auf die Unterlage, diesmal ohne Herz. Hinter dem L machte er ein dickes Fragezeichen. »Sagen Sie, Herr van den Hövel, sind Sie sicher, daß Ihre Tochter kein Tagebuch geführt hat? Frauen tun solche Dinge. Eher als wir Männer. Es wäre also nicht ungewöhnlich.« Frank mußte an Lisas Tagebuch denken. Sie hatte es ihm einmal gezeigt, allerdings ohne ihn darin blättern zu lassen. Du stehst auch drin, hatte sie ihn gelockt, und war quietschend wie ein Teenager durch die Wohnung gerannt, bis sie sich atemlos in seinen Arm hatte fallen lassen.
Lesen durfte er ihre Aufzeichnungen trotzdem nicht. Wie lange war das schon her? Frank meinte, sich kaum noch an Lisas Gesicht erinnern zu können. Dabei hatte er doch erst vor wenigen Tagen vor ihrer Tür gestanden. Aber die Nummer ich bin der große Junge mit dem gebrochenen Herzen hatte ja leider nicht gezogen. Frank strich das L durch und zog die Konturen des F nach. Er wartete immer noch auf eine Antwort des Obsthofbesitzers.
»Sind Sie noch da, Herr van den Hövel?«
Er hörte nur ein heftiges Atmen.
»Ja, ja, ich bin noch da. Heike hat, wie alle Kinder, Tagebuch geführt. Und sie hat auch ein Poesiealbum gehabt. Ich hab einmal die bunten Kladden in ihrem Kinderzimmer hinter ihrem Bett gefunden, als wir tapeziert haben. Bevor ich sie aufmachen konnte, hat sie mir die Hefte aus der Hand gerissen und ist dann aus dem Zimmer gerannt. Wie kleine Mädchen so sind.«
Frank konnte hören, wie van den Hövel ein Lachen versuchte. Es war aber nicht mehr als ein kurzes Krächzen. »Ob sie auch später noch Tagebuch geführt hat, weiß ich nicht. Wir haben nie mehr darüber gesprochen.«
Frank hakte noch einmal nach: »Die Kollegen von der Spurensicherung haben mir gesagt, daß die Wohnung Ihrer Tochter sehr aufgeräumt ausgesehen hat. Bis auf die Küche. Alles sehr akkurat, nichts in Unordnung, selbst in ihren Schränken lag alles wie mit dem Lineal gezogen. Unterwäsche, Blusen, Hosen, Handtücher.«
van den Hövel unterbrach ihn: »Das hat sie von ihrer Mutter. Meine Frau hatte ihren Haushalt fest im Griff. Selbst in der Firma konnte sie auf dem Hof eine schief stehende Schubkarre nicht stehen lassen. Und die Töpfe mit den jungen Bäumen standen immer abgezirkelt in Reih und Glied. So war Lene, so hieß meine Frau. Wenn sie gekonnt hätte, wären auch unsere Aufzuchtplantagen mit dem Winkelmesser ausgerichtet worden. Unordnung konnte sie bis zuletzt nicht leiden. Selbst auf ihrem Sterbebett wollte sie alles unter Kontrolle haben. Sogar die Stühle für den Pastor und den Doktor hatten ihren festen Platz.«
Frank nutzte die kurze Atempause. »Im Bad von Heike stand eine ganze Batterie von unterschiedlichen Shampoos und Körperlotionen.«
»Heike ist – war – sehr auf Sauberkeit bedacht. Sie hat mindestens zweimal am Tag geduscht. Ich weiß auch nicht, warum.« Selbst jetzt, nach ihrem gewaltsamen Tod, schwang Unmut in seiner Stimme mit. »Ich habe ihr immer gesagt, daß ihre Wasserrechnung nochmal so hoch ist wie die der ganzen Firma. Aber sie hat noch nicht einmal hingehört. Na ja, war ja auch nicht wirklich ein Problem. Außerdem hat ja wohl jeder Mensch seine schwache Stelle und seinen Tick.«
Frank fühlte sich ertappt. Hastig strich er die sauber angeordnete Reihe nahezu
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