Der Lambertimord
dir in der Landgerichtskantine einen Kaffee aus.«
Keine 20 Minuten später saßen Frank und Bert Becks in der zu dieser Tageszeit fast leeren Gerichtskantine. Immerhin war es kurz vor Feierabend. Zwei Richter in weißen Oberhemden und mit weißen Krawatten saßen an einem Tisch am unteren Ende der Kantine. Sie wirkten in dem großen Raum, der im Stil der frühen 60er Jahre mit hellem Holz vertäfelt war, merkwürdig verloren. Wie aus einem Bild von Edward Hopper.
Die Holzvertäfelung war vom damaligen Architekten wegen der verbesserten Akustik zum Teil in Lamellenform gestaltet worden. Das machte die Kantine dankenswerterweise selbst bei Hochbetrieb zu einem Ort gedämpfter Gespräche, an dem die Besucher sich wenigstens halbwegs streßfrei von ihren Gerichtsterminen erholen konnten. Heute war neben den beiden Juristen nur noch der beleibte Kantinenwirt anwesend, der in seiner Kochmontur hingebungsvoll die schon leer geräumte Kühltheke wienerte.
Bert Becks war zielstrebig auf einen Platz an der Fensterseite zugesteuert, obwohl an der Stirnwand des langgestreckten Raumes rechts neben dem Eingang deutlich der Hinweis Die Tischreihe am Fenster ist für Justizbedienstete reserviert zu lesen war. Geräuschvoll hatte Becks einen Stuhl vorgezogen und vom Nebentisch einen Aschenbecher zu sich geholt. Während er auf Frank wartete, hatte er sich schon die nächste Zigarette angezündet.
Vorsichtig, damit nichts überschwappte, kam Frank mit zwei weißen Bechern Kaffee an den Tisch und setzte sich.
»Ich will mich nicht lange mit Höflichkeitsfloskeln aufhalten«, meinte Becks und zog dabei kraftvoll an seiner Marlboro. »Die Kollegen aus der Viersener Lokalredaktion haben mich gebeten, für sie zu recherchieren. Die Spatzen pfeifen es dort von den Dächern, daß ihr in der Mordsache van den Hövel nicht vorankommt. Außerdem scheint der zweite Mord mysteriöser zu sein als zunächst angenommen.«
»Bevor ich was dazu sage, solltest du mir sagen, was du weißt. Sonst gibt’s von mir keine Antwort.«
Becks rückte sich auf seinem Stuhl zurecht. Seine kurzen Arme hatte er aufgestützt und wie zum Gebet dicht vor sein Gesicht gehoben. Diese Bedingung paßte ihm nicht, das konnte Frank merken. »Na schön. Fangen wir ganz klein an.« Becks zog einen gefalteten Zettel aus der Gesäßtasche seiner Jeans. »Das ist eine ganz normale Polizeimeldung aus diesen Tagen. Lies.«
Er schob Frank den zerknitterten DIN-A4-Zettel über den Tisch.
POL-VIE: Hakenkreuz in den Lack gekratzt
NETTETAL (ots) – Gestern, 26. November, gegen 21.10 Uhr, beschädigten ca. 6 bisher unbekannte Personen im Bereich der Jahnstraße 5 geparkte Fahrzeuge. Die Täter wurden von einem Zeugen beobachtet. Sie zerkratzten mit einem spitzen Gegenstand die Pkws mit Hakenkreuzen und anderen Zeichen verfassungswidriger Organisationen. Dabei entstand ein Sachschaden von ca. 6.000 Euro. Der Staatsschutz hat die Ermittlungen aufgenommen und bittet um Hinweise. ots-Originaltext: Pressestelle der Polizei Viersen
Frank faltete den Zettel zusammen und gab ihn Becks zurück. »Na, und?«
Becks zerdrückte die Zigarette im Aschenbecher. »Die Meldung ist nicht weiter interessant. Das ist nur Kinderkram, da magst du recht haben. Spannender ist vielmehr die Tatsache, daß dieser Masuhr zumindest Kontakte zur Neonazi-Szene haben soll. Es gibt Informationen, daß Masuhr zu einem Schlägertrupp gehört. Ein übler Bursche. Könnte es sich bei dem Mord um einen Racheakt unter Skinheads handeln?«
»Woher weißt du, daß der Tote Masuhr ist?«
Becks schob sein berüchtigtes Honigkuchengrinsen über sein rundes Gesicht und zuckte mit gespielt unschuldiger Miene mit den Schultern. »Laß mir doch auch meine kleinen Geheimnisse. Und – ist es Masuhr?«
»Ja.«
»Und weiter?«
»Nichts weiter. Wir stehen noch am Anfang unserer Ermittlungen. Außerdem bist du ja dran mit Erzählen. Aber vielleicht sollten wir einfach nur den Kaffee in Ruhe trinken und ein bißchen über Musik reden.«
Becks schüttelte den Kopf. »Dafür bin ich nicht hergekommen. Also, es gibt in Nettetal offenbar ziemlich rege Neonazi-Aktivitäten. Die selbsternannten Retter des Deutschtums sollen sich regelmäßig in einem Waldstück bei Leuth treffen und dort Krieg spielen. Es gibt angeblich auch Verbindungen dieser Gruppe zu honorigen Kreisen in der Stadt. Die Rede ist auch von einer finanziellen Unterstützung dieser Spinner durch Geschäftsleute, die nach außen selbstverständlich jede
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