Der lange dunkle Fünfuhrtee der Seele
Verödung.
Komischerweise drang offenbar Musik aus dem Keller, oder vielmehr nur eine einzelne, zusammenhanglose kurze Phrase einer stampfenden Musik, die immer von neuem wiederholt wurde. Es hörte sich an, als hänge die Nadel in der Plattenrille fest, und Dirk fragte sich, warum niemand den Plattenspieler abgeschaltet oder wenigstens der Nadel einen Schubs gegeben hatte, damit die Platte weiterspielte. Der Song erschien Dirk sehr vage vertraut, und er nahm an, daß er ihn möglicherweise vor kurzem im Radio gehört hatte, obwohl er ihn nicht recht unterbringen konnte. Das Stück Text lautete ungefähr:
»Heb sie nicht auf, nicht auf, nicht a-
Heb sie nicht auf, nicht auf, nicht a-
Heb sie nicht auf nicht auf, nicht a-« und so weiter.
»Wollen Sie sich bitte in den Keller begeben«, sagte der Beamte teilnahmslos, als sei das das letzte, was jemand, der alle Tassen im Schrank hat, wollen würde.
Dirk nickte ihm kurz zu und eilte die Treppe zur Haustür hinauf, die leicht angelehnt war. Er schüttelte den Kopf und straffte die Schultern, um sein Gehirn an weiterem Flattern zu hindern.
Er trat ein.
Die Diele zeugte von einem Wohlstand, der sich über einen Stil gebreitet hatte, der ursprünglich mal durch studentisches Leben geprägt gewesen war. Der Fußboden bestand aus abgezogenen, dick versiegelten Dielen, und an den weißen Wänden hingen griechische Teppiche, aber teure griechische Teppiche. Dirk war bereit zu wetten (wenn auch wahrscheinlich nicht dafür zu zahlen), daß eine gründliche Untersuchung des Hauses, außer wer weiß welch anderen dunklen Geheimnissen, fünfhundert British-Telecom-Aktien und eine Sammlung von Dylan-Alben an den Tag befördern würde, komplett bis hin zu Blood on the Tracks.
Ein Polizist stand in der Diele. Er sah entsetzlich jung aus, hatte sich ganz leicht gegen die Wand zurückgelehnt, starrte auf den Boden und hielt seinen Helm gegen den Magen gepreßt. Sein Gesicht war blaß und glänzte. Er sah Dirk geistesabwesend an und nickte leicht in Richtung der nach unten führenden Treppe.
Die Treppe herauf erscholl die ständig wiederholte Phrase:
»Heb sie nicht auf, nicht auf, nicht a-
Heb sie nicht auf, nicht auf, nicht a-«
Dirk bebte vor Zorn, der in ihm herumkollerte und nach was suchte, das er verhauen oder erdrosseln könnte. Er wünschte, er könnte leidenschaftlich dementieren, daß irgendwas daran seine Schuld sei, aber solange ihm das niemand ernstlich versicherte, konnte er es nicht.
»Wie lange sind Sie schon hier?« fragte er kurz angebunden.
Der junge Polizist mußte sich zusammennehmen, um zu antworten.
»Wir sind vor ungefähr 'ner halben Stunde angekommen«, erwiderte er mit dumpfer Stimme. »Wahnsinnsmorgen. Dieses Herumgehetze.«
»Erzählen Sie mir nichts von Herumgehetze«, sagte Dirk ohne jeden Sinn. Er hetzte die Treppen hinunter.
»Heb sie nicht auf, nicht auf, nicht a-
Heb sie nicht auf, nicht auf, nicht a-«
Unten befand sich ein schmaler Korridor. Die größte Tür, die davon abging, war eingetreten und hing an ihren Angeln. Sie öffnete sich in ein großes Doppelzimmer. Dirk wollte gerade hineingehen, als eine Gestalt herauskam und ihm den Weg verstellte.
»Ich sehe es ungern, daß Sie mit diesem Fall zu tun haben«, sagte die Gestalt. »Ich sehe es außerordentlich ungern. Sagen Sie mir, was Sie damit zu tun haben, damit ich genau weiß, warum ich es so ungern sehe.«
Dirk sah erstaunt in das schlaue, schmale Gesicht.
»Gilks?« fragte er.
»Stehen Sie nicht rum mit einem Gesicht wie ein verdutzter Wieheißternoch, was sind das für Dinger, die keine Seehunde sind? Viel schlimmer als Seehunde. Große, schwabbelige Dinger. Dugongs. Stehen Sie nicht rum mit einem Gesicht wie ein verdutzter Dugong. Warum hat dieser...« Gilks zeigte in das Zimmer hinter sich. »Warum hat dieser... Mann da drin Ihren Namen und Ihre Telefonnummer auf einem Umschlag voller Geld?«
»Wiev...«, begann Dirk. »Wie, vielleicht gestatten Sie mir die Frage, kommt es, daß Sie hier sind, Gilks? Was tun Sie hier, so weit weg von den Fens? Erstaunt, daß es Ihnen hier feucht genug ist.«
»Dreihundert Pfund«, sagte Gilks. »Warum?«
»Vielleicht gestatten Sie mir, mit meinem Mandanten zu reden«, sagte Dirk.
»Ihr Mandant, eh?« sagte Gilks grimmig. »Ja. In Ordnung. Warum reden Sie nicht mit ihm? Es würde mich interessieren, was Sie ihm zu sagen haben.« Er trat steif zurück und winkte Dirk in das Zimmer.
Dirk sammelte seine Gedanken und betrat den Raum in
Weitere Kostenlose Bücher