Der lange dunkle Fünfuhrtee der Seele
Biermarke kauften, und das aufgrund von nichts Besserem als seiner schwerlich selbstlosen Behauptung.
Dirk hatte das Gefühl, es sei an der Zeit, eine etwas größere Wirkung auf die Vorgänge auszuüben, als es ihm bisher gelungen war. Er trat direkt in die Blickrichtung des Jungen.
»He, Kleiner«, sagte Dirk in einem Ton, von dem er hoffte, daß er bestimmt, doch freundlich, und in gar keiner Weise überheblich oder affektiert oder taktlos klang, »ich muß unbedingt wissen, wer -«
In diesem Moment wurde er durch den Anblick dessen abgelenkt, was er aus der neuen Position sah, auf der er jetzt stand. Auf der anderen Seite des Sessels befanden sich ein großer, halbvoller Großhandelskarton mit 3-Minuten-Nudeln, ein großer, halbvoller Großhandelskarton mit Mars-Riegeln, eine zur Hälfte abgetragene Pyramide aus Limonadendosen und das Ende des Gummischlauchs. Der Gummischlauch endete in einem Zapfhahn aus Plastik und wurde offensichtlich zum Nachfüllen des Wasserkessels benutzt.
Dirk hatte den Jungen einfach fragen wollen, wer er sei, aber aus diesem Blickwinkel war die Familienähnlichkeit unverkennbar. Er war ohne Zweifel der Sohn des kürzlich geköpften Geoffrey Anstey. Vielleicht war dieses Verhalten nur seine Art, auf den Schock zu reagieren. Oder vielleicht wußte er wirklich nicht, was passiert war. Oder er war vielleicht...
Dirk mochte kaum drüber nachdenken.
Außerdem fand er es schwierig, einen klaren Gedanken zu fassen, während der Fernseher ihn im Namen eines Zahnpastaherstellers zutiefst über einige Dinge zu beunruhigen versuchte, die möglicherweise in seinem Munde vor sich gingen.
»Okay«, sagte er, »ich möchte dich nicht stören in einer Situation, die für dich schwierig und bedrückend sein muß, aber ich muß vor allem erst einmal wissen, ob dir klar ist, daß das eine schwierige und bedrückende Situation für dich ist.«
Nichts.
Na schön, dachte Dirk, wird Zeit für ein bißchen vernünftige Härte. Er lehnte sich gegen die Wand zurück, steckte die Hände in die Taschen, als wolle er sagen: Okay, wenn du's so haben willst, starrte ein paar Sekunden schlecht gelaunt zu Boden, dann hob er den Kopf mit einem Ruck und bohrte dem Jungen einen harten Blick genau zwischen die Augen.
»Ich muß dir leider sagen, Kleiner«, sagte er knapp, »dein Vater ist tot.«
Das hätte funktionieren können, wenn nicht im selben Moment ein sehr populärer und erfolgreicher Werbespot begonnen hätte. Für Dirk schien es sich um ein besonders erstaunliches Exemplar der Gattung zu handeln.
Die Eröffnungssequenz zeigte den Engel Luzifer, wie er aus dem Himmel in den Abgrund der Hölle geschleudert wurde, wo er auf einem brennenden See liegen blieb, bis ein Dämon vorbeikam und ihm eine Dose eines sprudelnden Softdrinks namens sHades reichte. Luzifer nahm sie und probierte. Er pichelte gierig die ganze Dose leer, wandte sich dann zur Kamera, rückte sich eine Porsche-Sonnenbrille auf die Nase, sagte: »Jetzt wird's erst richtig heiß!« und legte sich zurück in die Glut der brennenden Kohlen, die um ihn herum aufgeschichtet waren.
An dem Punkt sagte eine unglaublich tiefe, brummige amerikanische Stimme, die sich anhörte, als wäre sie selber aus den Tiefen der Hölle oder zumindest aus einem Saufclub in einem Keller in Soho hervorgekrochen, wohin sie so schnell wie möglich zurückkehren wollte, um sich für den nächsten Off-Kommentar in Form zu marinieren: »sHades. Das Getränk aus der Hölle ...«, während die Dose sich ein bißchen drehte, um das Anfangs-»s« zu verdecken und somit das Wort »Hades« zu bilden.
Der theologische Sinn des Ganzen schien ein bißchen konfus, überlegte Dirk, aber was war ein winziges Tröpfchen Falschinformation in so einem reißenden Strom?
Luzifer grimassierte daraufhin wieder in die Kamera und sagte: »Dieses Zeug ist echt mein Fall.. .«, und nur für den Fall, daß all die Ereignisse den Zuschauer total unbeeindruckt gelassen haben sollten, wurde die erste Einstellung, in der Luzifer aus dem Himmel geworfen wurde, kurz wiederholt, um noch mal das Wort »Fall« zu unterstreichen.
Die Aufmerksamkeit des Jungen war davon vollkommen gefesselt.
Dirk ging zwischen dem Jungen und der Mattscheibe in die Hocke.
»Hör mir zu«, begann er.
Der Junge reckte den Hals, um an Dirk vorbei auf den Bildschirm zu sehen. Er mußte seine Körperteile in dem Sessel völlig umsortieren, um das zu können und weiter 3-Minuten-Nudeln in sich reinzuspachteln.
»Hör
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