Der lange dunkle Fünfuhrtee der Seele
Einrichtungsratschläge, die sie nicht wollte, und klaute ihr die Milch - deshalb war das Verhältnis zu ihm immer leicht frostig geblieben. In diesem speziellen Moment aber betete sie darum, daß er da wäre und ihr erzähle, was mit ihrem Sofa nicht stimme, und daß das Licht bei ihm nicht ausginge, während ihr Blick schwankend abkam vom Bürgersteig mit seinen noch drei verbliebenen Lichtflecken, die im gleichförmigen Abstand den Weg markierten, den sie zu gehen hatte.
Sie drehte sich kurz um und blickte den Weg zurück, den sie gekommen war. Alles war dunkel und ging allmählich in die Schwärze des Parks über, der sie nicht länger beruhigte, sondern mit gräßlichen Bildern von dicken, knotigen Wurzeln und tückischem, dunklem, verfaulendem Laub ängstigte.
Sie drehte sich wieder um und blickte flach nach vorn.
Drei Lichtflecken.
Die Straßenlaternen gingen nicht aus, wenn sie sie ansah, nur wenn sie dran vorbeiging.
Sie kniff die Augen zu und stellte sich genau vor, wo die Birne der nächsten Straßenlaterne war, über und vor ihr. Sie hob den Kopf, öffnete vorsichtig die Augen und blickte direkt in das orangefarbene Licht, das durch das dicke Glas schien.
Es leuchtete nach wie vor.
Den Blick fest darauf geheftet, so daß es ihr Kringel auf die Netzhaut brannte, bewegte sie sich behutsam Schritt für Schritt weiter und versuchte es mit ihrem Willen zu zwingen, brennen zu bleiben, während sie näher kam. Es brannte noch immer.
Wieder machte sie ein paar Schritte vorwärts. Es brannte weiter. Wieder ein paar Schritte, es brannte immer noch. Jetzt war sie fast darunter und reckte den Hals, um es im Blick zu behalten.
Sie machte noch einen Schritt vor und sah, wie die Drähte in dem Glas flackerten, rasch erloschen und ein Nachbild hinterließen, das ihr wie verrückt vor den Augen herumhüpfte.
Nun senkte sie den Blick und versuchte, starr nach vorn zu sehen, aber wüste Formen tanzten überall herum, und sie hatte das Gefühl, die Kontrolle zu verlieren. Auf die nächste Lampe stürzte sie hastig zu, und wieder verhüllte plötzliche Finsternis ihre Ankunft. Sie blieb keuchend stehen, blinzelte und versuchte sich wieder zu beruhigen und die Augen an die Umgebung zu gewöhnen. Den Blick auf die letzte Straßenlaterne gerichtet, meinte sie eine Gestalt darunter stehen zu sehen. Es war eine massige Gestalt, die von hüpfenden orangefarbenen Schatten umspielt wurde. Gewaltige Hörner ragten ihr aus dem Kopf.
Sie starrte außer sich vor Anspannung in die wogende Dunkelheit und schrie die Gestalt plötzlich an: »Wer sind Sie?«
Es entstand eine Pause, und dann antwortete eine tiefe Stimme: »Haben Sie irgendwas, womit man diese Fußbodenstücke von meinem Rücken abkriegt?«
KAPITEL 16
Es entstand wieder eine Pause, diesmal von anderer und leicht verstörter Art. Sie war nicht lang. Sie hing nervös da und fragte sich, von welcher Seite sie beendet werden würde. Die dunkle Straße nahm ein in sich gekehrtes, sehr defensives Aussehen an.
»Was?« schrie Kate schließlich zu der Gestalt zurück. »Ich sagte... was?«
Die riesige Gestalt rührte sich. Kate konnte sie immer noch nicht richtig erkennen, weil vor ihren Augen blaue Schatten tanzten, die das orangefarbene Licht dort eingebrannt hatte.
»Ich war«, sagte die Gestalt, »am Fußboden festgeklebt. Mein Vater -«
»Haben Sie ... sind Sie«, Kate bebte vor wahnsinniger Wut, »sind Sie verantwortlich... für all das?« Sie drehte sich um und fuchtelte mit der Hand wütend vor der Straße herum, um auf den Alptraum zu zeigen, den sie gerade durchgemacht hatte.
»Es ist wichtig, daß Sie wissen, wer ich bin.«
»Ach ja?« sagte Kate. »Na, dann wollen wir doch mal den Namen hören, damit ich mit ihm gleich zur Polizei gehen und Sie wegen vorsätzlicher Übertretung von was auch immer einbuchten lassen kann. Einschüchternde Belästigung von -«
»Ich bin Thor. Ich bin der Gott des Donners. Der Gott des Regens. Der Gott der hochgetürmten Wolken. Der Gott der Blitze. Der Gott der reißenden Ströme. Der Gott der kleinen Teilchen. Der Gott der formenden und bindenden Kräfte. Der Gott des Windes. Der Gott des wachsenden Getreides. Der Gott des Hammers Mjollnir.«
»Tatsächlich?« stichelte Kate. »Tja, wenn Sie sich einen ruhigeren Moment ausgesucht hätten, um mir das alles zu erzählen, würde es mich zweifellos interessiert haben, aber in diesem Augenblick macht es mich bloß furchtbar wütend. Machen Sie die verdammten Laternen wieder
Weitere Kostenlose Bücher