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Der lange dunkle Fünfuhrtee der Seele

Titel: Der lange dunkle Fünfuhrtee der Seele Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Douglas Adams
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Spitze der Zigarette, die der Alte rauchte.
    »Warum kommst 'n dann her?« fragte der Alte - nicht herausfordernd, bloß neugierig.
    Dirk versuchte ihn anzusehen, ohne den Anschein zu erwecken, als sähe er ihn von oben bis unten an. Der Mann war in wüster Weise seiner Zähne beraubt, hatte wirre, verfilzte Haare, und seine Kleider waren rundherum und von oben bis unten mit Dreck bekleistert, aber seine Augen, die ihm triefig aus dem Gesicht hingen, waren ziemlich gelassen. Er erwartete nicht, daß ihm Schlimmeres passiere, als er ertragen konnte.
    »Tja, eigentlich bloß deshalb«, sagte Dirk und drehte die Zigarette in den Fingern. »Danke. Konnte nirgendwo eine finden.«
    »Oh, ah«, sagte der alte Mann.
    »Habe so einen verrückten Vogel zu Hause«, fuhr Dirk fort. »Griff mich immerzu an.«
    »Oh, ah«, sagte der Mann und nickte ergeben.
    »Ich meine, einen echten Vogel«, sagte Dirk, »einen Adler.«
    »Oh, ah.«
    »Mit riesigen Flügeln.«
    »Oh, ah.«
    »Hat mich mit einer seiner Klauen durch den Briefschlitz gepackt.«
    »Oh, ah.«
    Dirk überlegte, ob es Zweck habe, die Unterhaltung noch sehr viel weiter zu führen. Er versank in Schweigen und blickte sich um.
    »Haste Glück, daß er nicht noch mit'm Schnabel nach dir gehackt hat«, sagte der Alte nach einer Weile. »Adler machen das, wennse wütend sind.«
    »Hat er!« sagte Dirk. »Hat er! Hier, genau hier auf meiner Nase. Das war auch durch den Briefschlitz. Man sollte es kaum glauben! Diese Wucht! Diese Kraft! Gucken Sie mal, was er mit meiner Hand gemacht hat!«
    Er streckte sie Mitleid heischend aus. Der Alte warf einen taxierenden Blick darauf.
    »Oh, ah«, sagte er schließlich und verkroch sich wieder in seine eigenen Gedanken.
    Dirk zog seine verletzte Hand zurück.
    »Verstehen also 'ne ganze Menge von Adlern, was?«
    Der Mann gab keine Antwort, sondern schien sich nur noch tiefer in sich zu verkriechen.
    »Viele Leute hier heute nacht«, versuchte Dirk es nach einer Zeitlang wieder.
    Der Mann zuckte die Achseln. Er nahm einen langen Zug von seiner Zigarette, wobei er die Augen gegen den Rauch halb schloß.
    »Ist das immer so? Ich meine, sind nachts immer so viele Leute hier?«
    Der Mann sah nur nach unten, während er aus Mund und Nasenlöchern langsam den Rauch entließ.
    Wieder blickte Dirk sich um. Ein paar Schritte entfernt hatte sich ein Mann hingesetzt, der nicht so alt wirkte wie Dirks Gefährte, aber in seinem Verhalten erheblich gestört schien und die ganze Zeit über einer Flasche Kochbrandy hektisch mit dem Kopf wackelte. Langsam hörte er mit dem Gewackel auf, schraubte mühsam einen Deckel auf die Flasche und ließ sie in die Tasche seines zerlumpten alten Mantels gleiten. Eine fette, alte Frau, die nervös zwischen ihren Besitztümern in einer prall gefüllten schwarzen Mülltüte herumgekramt hatte, begann sie oben zusammenzudrehen und umzuschlagen.
    »Man könnte fast meinen, gleich passiert was«, sagte Dirk.
    »Oh, ah«, sagte sein Gefährte. Er stemmte die Hände auf die Knie, beugte sich vor und erhob sich mühsam auf die Füße. Obwohl er gebückt und langsam war, und obwohl seine Kleider verdreckt waren und in Fetzen hingen, lag in seiner Haltung ziemliche Kraft und Autorität.
    Die Luft, die er beim Aufstehen in Bewegung brachte und die aus den Falten seiner Haut und seiner Kleider strömte, war selbst für Dirks betäubte Nasenlöcher reichlich stechend. Es war ein Geruch, der unentwegt auf einen eindrang - auch als Dirk meinte, er müsse den Höhepunkt erreicht haben, und ätzte sich mit erneuter Wut weiter nach oben, bis Dirk dachte, sein ganzes Hirn löse sich in Dunst auf.
    Er versuchte, das Würgen zu unterdrücken, ja, er versuchte, höflich zu lächeln, ohne seinen Augen das Tränen zu gestatten, als der Mann sich ihm zuwandte und sagte: »Gieß 'n paar Pomeranzenblüten heiß auf. Tu 'n paar Prisen Salbei dazu, solange der Tee noch warm ist. Das ist sehr gut gegen Adlerwunden. Andere tun noch Aprikosen- und Mandelöl und, der Himmel schütze uns, Zedernöl dazu. Aber es gibt immer welche, die die Dinge übertreiben. Und manchmal haben wir sie nötig. Oh, ah.«
    Damit drehte er sich wieder um und schloß sich dem wachsenden Strom jammervoller, gebeugter und geschändeter Körper an, der sich auf den Hauptausgang des Bahnhofs zubewegte. Alles in allem gingen ungefähr zwei, vielleicht drei Dutzend hinaus. Jeder schien einzeln aufzubrechen, jeder aus seinem völlig persönlichen Grund, und sie folgten nicht allzu

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