Der lange dunkle Fünfuhrtee der Seele
Hallo, meine Liebe, hallo! Mein Name ist Tsuliwaënsis, und es kränkt mich überhaupt nicht, wenn du stotterst.«
»Ich ... ich bin, äh, Kate«, sagte Kate, total außer Fassung.
»Ja, na, das wird sicher in Ordnung sein«, sagte die alte Frau scharf. »Na egal, kommt mit, wenn ihr wollt. Aber wenn ihr die ganze Nacht hier draußen rumhängen wollt, kann ich genausogut auch jetzt gleich weitermachen und mich umbringen, und ihr könnt euch selber um euern Tee kümmern, wenn ihr Lust drauf habt. Kommt mit!«
Sie eilte ihnen voran, und nach wenigen Metern erreichten sie ein ganz schreckliches Ding von einem wackligen Bau aus Holz und Schlamm, der aussah, als sei er unerklärlicherweise mitten im Zusammenbrechen steckengeblieben. Kate sah Thor an, um vielleicht so was wie eine Reaktion an ihm zu entdecken, die ihr einen Hinweis auf die Lage geben könnte, aber er war mit seinen eigenen Gedanken beschäftigt und sichtlich nicht in der Stimmung, sie mitzuteilen. Sie meinte aber an der Art, wie er sich bewegte, einen Unterschied zu bemerken. In der kurzen Zeit, die sie ihn kannte, schien er beständig mit irgendeinem inneren, unnatürlichen Zorn zu kämpfen, und der, hatte sie das Gefühl, hatte sich zerstreut. Er war nicht weg, sondern hatte sich zerstreut. Er trat zur Seite, um sie in Tsuliwaënsis' Hütte eintreten zu lassen, und gab ihr mit schroffen Handbewegungen zu verstehen, sie solle hineingehen. Sich in grotesker Weise duckend, folgte er ein paar Sekunden später, nachdem er einen Moment lang draußen geblieben war, um sich von dem wenigen, das man von der Umgebung sehen konnte, einen Überblick zu verschaffen.
Der Raum drinnen war winzig. Ein paar Bretter mit Stroh als Bett, ein siedender Topf, der über einem Feuer hing, und eine in die Ecke geklemmte Kiste zum Sitzen.
»Und das hier ist das Messer, das ich benutzen werde, seht ihr?« sagte Tsuliwaënsis beim Herumhantieren. »Hab's gerade prima scharf gemacht, seht ihr? Es wird ganz prima, wenn man mit dem Stein prima den Schwung raus hat, und ich habe gedacht, das hier wäre ein prima Platz, seht ihr? Hier an der Wand, ich kann den Griff in diesen Ritz hier stecken, damit es prima festsitzt, und dann mit Schwung dagegen! Und mich dagegen schmeißen. Mit Schwung! Versteht ihr? Ich überlege gerade, sollte ich's ein bißchen tiefer machen, was meinst du, meine Liebe? Weißt doch über solche Dinge Bescheid, oder?«
Kate erklärte, daß sie das nicht tue, und es gelang ihr, sich dabei ganz ruhig anzuhören.
»Tsuliwaënsis«, sagte Thor, »wir hatten nicht vor, lange zu bleiben, sondern ... Tsuli - leg bitte das Messer weg.«
Tsuliwaënsis stand da und blickte quietschvergnügt zu ihnen hoch, aber sie hatte auch das Messer in der Hand, dessen lange, schwere, gebogene Klinge sie sich über ihr linkes Handgelenk gelegt hatte.
»Achtet gar nicht auf mich, meine Lieben«, sagte sie, »mir geht's ganz fabelhaft. Ich kann jederzeit, wenn ich bereit dazu bin, einfach abkratzen. Zum Glück. In solchen Zeiten kann man nicht leben. O nein. Haut ab und seid glücklich. Ich will euer Glück mit meinem Geschrei nicht stören. Ich werde mit dem Messer kaum ein Geräusch machen, wenn ihr geht.« Sie stand zitternd und provozierend da.
Vorsichtig, fast zärtlich, streckte Thor die Hand aus und nahm ihr das Messer aus der zitternden Hand. Als es weg war, schien die Alte zusammenzuschrumpeln, und ihr ganzes Getue fiel von ihr ab. Wie ein Häufchen Unglück setzte sie sich auf ihre Kiste. Thor hockte sich vor ihr nieder, zog sie langsam an sich und umarmte sie. Sie schien allmählich zum Leben zurückzukehren, und schließlich stieß sie ihn von sich, sagte ihm, er solle nicht so dumm sein, und machte dann ein ziemliches Gewese darum, ihr hoffnungslos zerrissenes und schmutziges schwarzes Kleid glattzustreichen.
Als sie sich wieder völlig beruhigt hatte, wandte sie ihre Aufmerksamkeit Kate zu und betrachtete sie von oben bis unten.
»Du bist eine Sterbliche, Liebes, stimmt's?« sagte sie schließlich.
»Äh ... ja«, sagte Kate.
»Ich seh' das an deiner komischen Verkleidung. Oh, ja. Na ja, jetzt siehst du, wie die Welt von der anderen Seite aussieht, nicht wahr, meine Liebe? Und was denkst du darüber?«
Kate erklärte ihr, daß sie noch nicht wisse, was sie denken solle. Thor setzte sich auf den Fußboden, lehnte seinen dicken Kopf gegen die Wand und schloß halb die Augen. Kate hatte das Gefühl, daß er sich auf etwas vorbereite.
»Früher war alles anders«,
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